Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Willen hier festgehalten werden. Ich will nicht mehr reden.«
Frau Dr. Khan schrieb ihre Differentialdiagnosen auf: »Stimmungsstörung ohne weitere Spezifizierung« und »Psychotische Störung ohne weitere Spezifizierung«. Sie machte sich Gedanken, ob man wegen der Krampfanfälle und meiner Melanom-Vorgeschichte nicht nach neurologischen Ursachen suchen sollte.
Wenn es keine zugrunde liegende Erkrankung gab, die meine plötzliche Psychose erklären konnte, vermutete sie eine bipolare Störung I als mögliche Erklärung. Bipolar I ist eine Stimmungsstörung, die durch eine manische oder gemischte (manische und depressive) Episode gekennzeichnet ist. Auf einer Skala von 1 (die schlimmsten Fälle) bis 100 (ohne Symptome) erhielt ich den Wert 45, was als »ernste Symptome« zu übersetzen ist. Frau Dr. Khan empfahl, das Personal solle mir eine Sicherheitswache zuweisen, quasi eine Einzelbetreuung, um künftige Fluchtversuche zu verhindern.
Ich kann ihre Stimmen nicht mehr hören. Ihre Haut ist so weich. Ich starre auf die Wangenknochen der Ärztin und ihre hübsche olivfarbene Haut. Ich starre fester, fester und noch fester. Ihr Gesicht wirbelt vor mir herum. Strähne für Strähne ergraut ihr Haar. Falten, zuerst nur um die Augen, dann um ihren Mund und über ihre Wangen durchziehen jetzt ihr ganzes Gesicht. Ihre Wangen sinken ein und ihre Zähne werden gelb. Ihre Augenlider werden schlaff und ihre Lippen verlieren die Form. Die auffallende junge Ärztin altert vor meinen Augen.
Ich wende mich ab und schaue Stephen an, der zu mir zurückstarrt. Stephens Stoppeln verwandeln sich von Braun in gedämpftes Grau; sein Haar wird weiß wie Schnee. Er sieht aus wie sein Vater. Aus dem Augenwinkel beobachte ich die Ärztin. Nun wird sie mit jeder Sekunde strahlender. Alle Falten in ihrem Gesicht glätten sich, ihre Augen werden kess und länglich, ihre Wangen erhalten Babyspeck und ihre Haarfarbe verwandelt sich in ein tiefes Kastanienbraun. Sie ist 30, 20, 13.
Ich habe eine Gabe. Ich kann Leute mit meinem Geist altern lassen. Das bin ich. Das können sie mir nicht nehmen. Ich habe Macht. Ich bin stärker als je zuvor in meinem Leben.
Kapitel 18
Eilmeldung
S päter an diesem Tag kam noch ein fünfter Arzt zum Team. Mein Fall hatte das Interesse von Dr. Ian Arslan geweckt, einem Psychopharmakologen, der über 1,80 Meter groß war und eher wie ein alternder Hippie aussah und nicht wie ein Arzt. Wegen seiner Vorliebe für Schriftsteller der Beat-Generation und seiner intellektuellen Art, in einem abstrakten medizinischen Jargon zu sprechen, beschrieb ein Kollege ihn als »wanderndes Beatnik-Lexikon«.
Er hatte bereits von meinen Fluchtversuchen und paranoiden Wahnvorstellungen gehört, daher wandte er sich zuerst an meine Mutter und bat sie, ihm über die letzten Wochen meines bizarren Verhaltens zu berichten. Anschließend interviewte er meinen Vater. Nach einem kurzen Gespräch mit mir, das ein lebhaftes Porträt meiner Funktionsstörung lieferte, sammelte er Erklärungen des Pflegepersonals und rief sogar Dr. Bailey an, der ihm, Arslans Notizen zufolge, erzählte, dass ich »übermäßig trank, bis zu zwei Flaschen Wein pro Abend«. Dr. Bailey schien meine Laster inzwischen beträchtlich schwerwiegender einzuschätzen. Nachdem Herr Dr. Arslan alles resümiert hatte, notierte er zwei Diagnosen, die er für wahrscheinlich hielt: eine postiktale Psychose und eine schizoaffektive Störung. Wissend, dass diese zweite Diagnose meine Eltern aufregen würde, teilte er sie ihnen nicht mit.
Der Begriff »schizoaffektive Störung« wurde 1933 in einer viel zitierten Veröffentlichung eingeführt, »The Schizoaffective Psychoses« [Schizoaffektive Psychosen]: »Wie ein Blitz aus heiterem Himmel zerstören voll ausgebrochene Wahnvorstellungen plötzlich die Balance eines vollkommen vernünftigen Verstandes … und flammen ohne warnende Vorzeichen auf …«
Eine aktuellere Beschreibung definiert sie als Diagnose, wenn sich Stimmungssymptome, die typisch für die bipolare Störung sind, mit einer Psychose überlappen, was symptomatisch für Denkstörungen wie Schizophrenie ist. Das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung in der Version IV-TR, die während meines stationären Aufenthalts verwendet wurde, definiert die Störung als eine »ununterbrochene Krankheitsperiode, während der es entweder zu einer starken depressiven Phase, einem manischen
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