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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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unwahrscheinlich, dass die Psychose ohne weitere Anfälle unvermindert anhält oder an Intensität zunimmt. Die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich Schilddrüsenüberfunktion, die eine Psychose auslösen kann, waren negativ, sie mussten jedoch noch weitere Tests abwarten. Ich war viel zu psychotisch für irgendwelche weiteren invasiven Untersuchungen.
    Frau Dr. Russo fügte ihrem Entwicklungsbericht jedoch eine Zeile hinzu, die dort bisher nicht gestanden hatte: »Verlegung in die Psychiatrie, falls das Psychiatrie-Team dies für gerechtfertigt hält.« Genau wie Herr Dr. Arslan entschied sie sich dafür, meinen Eltern über diesen neuen Vorschlag nichts zu sagen.

    … Studie. Geht 1 : 1 weiter. Verlegung in Psychiatrie, falls Psychiatrie-Team dies für gerechtfertigt hält. Psychosen-Management durch die Psychiatrie, Verhalten abschätzen.
    Auch wenn viele dieser Befunde von meiner Familie und mir ferngehalten wurden, war klar, dass mein Platz auf der Epilepsie-Station zunehmend unsicher wurde, wie die Schwester meinen Vater bereits gewarnt hatte; einerseits weil meine Krampfanfälle aufgehört zu haben schienen und weil ich eine so schwierige Patientin war. Mein Vater, der das Gefühl hatte, dass sich die Einstellung mir gegenüber verbesserte und auch das Betreuungsniveau höher war, wenn jemand bei mir war, hielt sein Versprechen und kam jeden Tag in aller Früh. Alleine hätte ich diesen Kampf nie führen können.
    Meine Mutter kam jeden Tag in ihrer Mittagspause, in jeder möglichen Arbeitspause und dann wieder nach 17 Uhr. Sie führte mehrere fortlaufende Fragenlisten, die sie den Ärzten und Schwestern nach und nach vorlegte, sie war unnachgiebig, auch wenn viele Fragen nicht beantwortet werden konnten. Sie sammelte detaillierte Notizen, schrieb sich die Namen von Ärzten auf, ihre privaten Telefonnummern und medizinische Begriffe, die sie nachschlagen wollte. Obgleich sie und mein Vater kaum miteinander sprachen, hatten sie ein Tagebuchsystem eingerichtet, mit dem sie einander die jeweilige Entwicklung mitteilen konnten, wenn der andere nicht da war. Ihre Scheidung lag zwar bereits acht Jahre zurück, sie konnten es aber noch immer schlecht ertragen, sich im selben Zimmer aufzuhalten, und dieses gemeinsame Tagebuch ermöglichte es ihnen, in dem Kampf um mein Leben eine gemeinsame Basis beizubehalten.
    Auch Stephen spielte eine wichtige emotionale Rolle. Man erzählte mir, dass ich mich sichtlich entspannte, wenn er ins Zimmer kam mit seiner Ledertasche, in der sich häufig DVDs der Fernsehserie Lost und Natur-Dokumentationsfilme befanden, die wir zusammen anschauten. In der zweiten Nacht im Krankenhaus umklammerte ich jedoch seine Hand und sagte: »Ich weiß, dass alles zu viel für dich ist, ich kann verstehen, wenn du nicht mehr kommst. Ich kann es verstehen, wenn ich dich nie wiedersehe.« Wie er mir später erzählte, war das der Moment, wo er, ähnlich wie meine Eltern, einen Pakt mit sich selbst schloss: Wenn ich im Krankenhaus war, würde er auch dort sein. Niemand wusste, ob ich jemals wieder Ich selbst sein würde oder das alles überhaupt überleben würde. Die Zukunft war unwichtig – es ging ihm nur darum, für mich da zu sein, solange ich ihn brauchte. Er wollte keinen einzigen Tag auslassen. Und das tat er auch nicht.
    Am vierten Tag kamen die Ärzte Nummer sechs, sieben, acht und neun ins Team: ein Facharzt für Infektionskrankheiten, der meinen Vater an seinen Onkel Jimmy erinnerte, dem im Zweiten Weltkrieg nach der Landung in der Normandie das Purple Heart 6 verliehen wurde, ein älterer, grauhaariger Rheumatologe, ein freundlicher und sanfter Facharzt für Autoimmunkrankheiten und ein Internist, Jeffrey Friedman, ein spritziger Mann Anfang 50, der trotz der ernsten Situation einen natürlichen Optimismus verbreitete.
    Dr. Friedman, der wegen meines hohen Blutdrucks hinzugezogen worden war, war sofort sehr mitfühlend. Er hatte Töchter in meinem Alter. Als er das Zimmer betrat, fand er mich ungepflegt und verwirrt im Bett herumzappelnd, während Stephen, der neben mir saß, vergeblich versuchte, mich zu beruhigen. Ich wirkte zugleich träge und hektisch.
    Dr. Friedman versuchte, eine Grundanamnese zu erheben, aber ich war zu paranoid und zu sehr mit denen beschäftigt, die »mich beobachteten«, um zusammenhängend sprechen zu können, daher schritt er gleich zur Tat und maß meinen Blutdruck. Er war alarmiert: Alleine schon mein Blutdruck von 180 zu 100 mmHg konnte eine Gehirnblutung,

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