Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
hatten, was sie brauchten – eine tatsächliche Aufzeichnung eines Anfalls –, wurde sie kurz darauf entlassen.
8 Ein Medikament, das Haarausfall stoppen und das Haarwachstum anregen soll (Anm. d. Red.)
Kapitel 29
Die Dalmau’sche Krankheit (Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis)
S päter an diesem Tag kam Frau Dr. Russo und erklärte uns, welche Krankheiten sie inzwischen von der Liste der Möglichkeiten streichen konnten, wie Hyperthyreose [eine Überfunktion der Schilddrüse, Anm. d. Red.), ein Lymphom und das Devic-Syndrom [Neuromyelitis optica], eine seltene Krankheit, deren Symptome der multiplen Sklerose ähneln. Sie vermuteten immer noch, ich könnte einem Hepatitiserreger ausgesetzt gewesen sein, der Enzephalitis verursachen kann, hatten aber keinen Beweis dafür.
Nach dem Gespräch folgte meine Mutter Frau Dr. Russo auf den Gang hinaus. »Was glauben Sie denn, was es ist?«, beharrte sie auf einer Antwort.
»Herr Dr. Najjar und ich haben tatsächlich eine Wette laufen.«
»Was für eine Wette?«
»Na ja, Herr Dr. Najjar ist der Meinung, dass die Entzündung durch eine autoimmune Enzephalitis verursacht ist, und ich denke, durch ein paraneoplastisches Syndrom.« Als meine Mutter sie drängte, Genaueres darüber zu sagen, erklärte Frau Dr. Russo, das paraneoplastische Syndrom sei die Folge einer Krebserkrankung, meist in Verbindung mit Lungen-, Brust- oder Eierstockkrebs. Die Symptome – Psychose, Katatonie und so weiter – hängen dabei nicht mit dem Krebs zusammen, sondern mit der Reaktion des Immunsystems auf diesen Krebs. Während der Körper sich dafür rüstet, den Tumor anzugreifen, nimmt er manchmal auch gesunde Körperteile ins Visier wie das Rückenmark oder das Gehirn. »Ich denke, das macht wegen ihrer Vorgeschichte mit dem Melanom Sinn«, schloss Frau Dr. Russo.
Es war nicht das, was meine Mutter gerne hören wollte. Krebs war immer ihre größte Angst, das Wort, das sie nicht aussprechen wollte. Und nun warf es ihr die Ärztin beiläufig als Teil einer Wette hin.
Inzwischen waren zwei Plastikröhrchen, gut gesichert in Styroporbehältern, die in einem Kühlschrank auf der Ladefläche eines FedEx-Lastwagens transportiert worden waren, in der Universität von Pennsylvania eingetroffen. Eines enthielt transparentes Nervenwasser, also Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, so klar wie ungefiltertes Wasser, das andere Blut, das anfing, wie dehydrierter Urin auszusehen, da die roten Blutkörperchen (die Erythrozyten) mit der Zeit nach unten sanken. Die Teströhrchen trugen den Code 0933 und meine Initialen SC, sie wurden in einem minus 80 Grad kalten Gefrierschrank aufbewahrt, bis das Labor die Tests durchführen würde. Sie waren an das Labor geschickt worden, das der Neuroonkologe Dr. Josep Dalmau leitete, den Herr Dr. Najjar während seiner ersten Visite erwähnt hatte und den Frau Dr. Russo per E-Mail gebeten hatte, einen Blick auf meinen Fall zu werfen.
Vier Jahre zuvor, im Jahr 2005, war Herr Dr. Dalmau der Hauptautor eines Artikels in der neurowissenschaftlichen Zeitschrift Annals of Neurology gewesen, der über vier junge Frauen berichtete, die auffällige psychiatrische Symptome und Enzephalitis entwickelt hatten. Alle hatten Leukozyten in ihrer Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, litten unter Verwirrung, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen und Atemproblemen und alle hatten sogenannte Teratome in den Eierstöcken. Der bemerkenswerteste Befund war jedoch, dass alle vier Patientinnen ähnliche Antikörper hatten, die gegen spezifische Bereiche im Gehirn zu reagieren schienen, hauptsächlich gegen den Hippocampus. Irgendetwas an dieser Kombination von Tumor und Antikörpern machte diese Frauen schwer krank.
Herr Dr. Dalmau hatte bei den vier Frauen ein gemeinsames Muster festgestellt; nun musste er über den Antikörper selbst mehr herausfinden. Er und sein Forschungsteam begannen, Tag und Nacht ein kompliziertes immunhistochemisches Experiment zu erarbeiten, bei dem eingefrorene Anteile von Rattengehirnen verwendet wurden, die in papierdünne Stücke geschnitten und der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit dieser vier kranken Frauen ausgesetzt worden waren. Die Forscher hofften, dass sich die Antikörper der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit direkt an Rezeptoren im Rattenhirn binden und eine typische Gestalt zeigen würden. Acht Monate Tüftelei dauerte es, bis sich schließlich ein Muster herausbildete.
Dr. Dalmau hatte alle Rattenhirn-Objektträger identisch vorbereitet und gab eine kleine
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