Feuer: Roman (German Edition)
stand jetzt kein abgesägter Besenstiel auf der anderen Seite darunter –, aber die Tür ließ sich dennoch nicht öffnen. Will rüttelte noch zwei oder drei Mal vergebens an der Klinke, dann drehte er sich frustriert herum und ließ seinen Blick durch den großen, nur halb erleuchteten Raum schweifen. Natürlich gab es keinen Weg hier heraus. Das Büro hatte keinen zweiten Ausgang –hinter der holzvertäfelten Tür auf der rechten Seite befand sich nur ein winziger Waschraum, der nicht einmal ein Fenster hatte, und das vergitterte Fenster hinter den Lichtschutz-Jalousien bestand nicht nur aus schusssicherem Glas, sondern hatte nicht einmal einen Griff, um es zu öffnen.
Trotzdem suchte Will einen Moment lang fast verzweifelt nach irgendeinem Fluchtweg. Er war in Panik, ganz eindeutig, und das lag nicht nur daran, dass ihm die leise summende Klimaanlage viel zu kalte Luft um die Ohren blies. Irgendwie war es oben leichter gewesen, mit der Furcht fertig zu werden, aber nun kam er sich vor wie ein Gladiator, der soeben die Arena betreten hatte und wusste, dass in wenigen Augenblicken die Löwen hereingelassen würden. Er versuchte sich zur Ruhe zu zwingen. Vielleicht redete er sich ja auch alles nur ein. Georg hatte ihn bisher noch nicht wirklich bedroht. Möglicherweise – nein: wahrscheinlich –, sagte sich Will, interpretierte er Bedeutungen in Dinge hinein, die in Wirklichkeit bedeutungslos waren. Aber möglicherweise war auch dieser Gedanke nur ein weiterer unfruchtbarer Versuch, sich selbst zu beruhigen.
Will rüttelte noch einmal und jetzt mit aller Kraft an der Tür, aber sie bewegte sich nicht einmal um einen Millimeter. Dann humpelte er rückwärts zwei Schritte in den Raum hinein – bei Kälte begann die verfluchte Stelle über seinem Knöchel wieder zu schmerzen, die er ansonsten kaum noch spürte – und drehte sich noch einmal langsam um sich selbst, als hoffe er ernsthaft, plötzlich eine Tür oder irgendeinen anderen Fluchtweg zu entdecken, die aus dem Nichts aufgetaucht waren. Er sah nichts dergleichen. Stattdessen blieb sein Blick auf der Mattscheibe des eingeschalteten Fernsehgerätes hängen. Allerdings sah er nicht das Nachtprogramm von RTL oder einen von Georgs Pornokanälen, sondern eine Schwarz-Weiß-Aufnahme der Bar, offensichtlich von einer versteckten Kamera, die so angebracht war, dass man nahezu den gesamten Innenraum überblicken konnte. Kein Wunder, dass sein Fluchtversuch vom Vormittag so kläglich gescheitert war. Vermutlich hatten sich Georg und seine beiden Prügelknaben einen Ast gelacht, während sie ihm dabei zusahen, wie er sich hinauszuschleichen versuchte.
Sein Herz machte einen erschrockenen Satz, als er sah, wie die Tür aufging und eine junge Frau mit langem Haar die Bar betrat. Auf dem Schwarz-Weiß-Bild, das die Kamera lieferte, sah es aus wie eine Perücke aus geschmolzenem Silber oder verchromtem Metall, aber er wusste, dass es in Wahrheit die Farbe von poliertem Gold hatte. Will starrte mindestens zehn Sekunden und vollkommen verständnislos auf den Bildschirm, ehe ihm ganz allmählich klar wurde, was er da sah und was es bedeutete: Auf dem Monitor bewegte sich die junge Frau nach einem kurzen, suchenden Blick in die Runde zielstrebig auf die Bar und damit auf Georg zu, der sich zwar nicht von der Stelle rührte, sein Sektglas aber sinken ließ und sich so bewusst aufrichtete, dass es nicht mehr den geringsten Zweifel an der Erkenntnis gab, auf wen er gewartet hatte. Fast nebenher registrierte Will, dass er offensichtlich nicht der Einzige war, dem die sonderbare Frisur und Haarfarbe der jungen Frau auffiel, denn etliche von Georgs Gästen unterbrachen ihre Gespräche und sahen auf, um ihr mit Blicken zu folgen, aber das alles nahm Will nur fast beiläufig wahr.
Seine Gedanken überschlugen sich. Er war jetzt wirklich in Panik. Georg hatte ihn reingelegt, aber auf eine vollkommen andere Art, als er erwartet hatte. Er sah, wie die Blonde mit schnellen Schritten zu Georg ging und dann abrupt stehen blieb. Der Fernseher lieferte nur Bilder, keine Geräusche, so dass er nicht hören konnte, was die beiden besprachen, aber was er sah, war eindeutig genug: Die Blondine war offensichtlich nicht gekommen, um einen Freundschaftsbesuch zu machen.
Georg beherrschte sich – zumindest für seine Verhältnisse –meisterhaft; das einzige Anzeichen von Unmut auf seinem Gesicht bestand aus einem leichten Verziehen der Lippen, das er vergeblich als Lächeln zu tarnen
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