Feuer: Roman (German Edition)
aufgefangen. Stöhnend rollte er zur Seite und rang immer verzweifelter um Atem.
Und endlich bekam er wieder Luft. Mit einem röchelnden, qualvollen Geräusch sog er seine Lunge voll, atmete pfeifend aus und wieder ein und brachte es irgendwie fertig, bei Bewusstsein zu bleiben. Mehr aber auch nicht. Will lag wie gelähmt da, unfähig, sich zu rühren oder irgendetwas anderes zu tun, als keuchend ein- und wieder auszuatmen, und auch sein Blick klärte sich nur langsam. Er sah Lichter und Schatten, die einen verworrenen Tanz über ihm aufführten, einen verzerrten Umriss, der sich über ihn beugte, und dann einen kleineren, etwas schmaleren Schatten, der näher kam. Es vergingen noch drei oder vier weitere, qualvolle Atemzüge, bis die Schatten vor seinen Augen langsam ineinander flossen und sich zu Umrissen zusammensetzten.
Das Erste, was er unterschied, war das Gesicht des Kerls, der ihn niedergeschlagen hatte. Er war erstaunlich jung – allerhöchstens zwanzig, schätzte Will, wahrscheinlich jünger – und hatte langes, dunkelblondes Haar, das im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Ein wenig unpassend dazu trug er einen schwarzen Anzug, Hemd und Krawatte, und auf den zweiten Blick sah sein Gesicht eigentlich nicht wie das eines Profischlägers aus, sondern eher wie das des netten Jungen von nebenan, wären da nicht das tückische Glitzern in seinen Augen gewesen und der grimmige Zug um seine Mundwinkel.
Mühsam drehte Will den Kopf und sah zu der zweiten Gestalt hinauf; der, die den Burschen davon abgehalten hatte, ihn endgültig als Fußabtreter zu benutzen. Es war eine Frau. Will war nicht in der Verfassung, sie wirklich eingehend zu betrachten. Sie trug etwas, was er nur aus altmodischen Filmen kannte: einen Schleier. Das schwarze, dünne Netz verhüllte ihr Gesicht fast zur Gänze, und doch ließ es erahnen, dass es edel geschnitten und schmal war und von einer Strenge, die zu dem Ton passte, den er gerade in ihrer Stimme vernommen hatte. Sie trug ein schlichtes, schwarzes Kostüm, das viel zu dünn für die Jahreszeit war, und ein ebenfalls schwarzes Kopftuch, das ihr Gesicht noch strenger erscheinen ließ. Als sie neben ihm in die Hocke sank und den Arm nach ihm ausstreckte, stellte er fest, dass sie schwarze Lederhandschuhe trug.
»Können Sie mich verstehen?«, fragte sie.
Will atmete zweimal keuchend ein und aus und beließ es dann bei einem Nicken. Zum Sprechen fehlte ihm immer noch die Luft.
»Das ist gut«, sagte sie. »Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist. Bitte glauben Sie mir, dass mir das alles schrecklich Leid tut. Das hätte nicht passieren dürfen.« Sie hob den Kopf, und Will kam es vor, als blitzte unter dem Schleier ehrlicher Zorn in ihren Augen auf, als sie den Langhaarigen musterte. »Du solltest ihn aufhalten, nicht halb totschlagen.«
Der Junge fuhr so heftig zusammen, als hätte sie ihn geschlagen, und wich instinktiv einen halben Schritt zurück, straffte sich dann aber wieder und sah drohend auf Will herab. Seine Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich, und Will konnte sehen, wie seine Kiefer mahlten.
»Können Sie aufstehen?«, fragte die Frau. »Ich hoffe doch, Sie sind nicht schwer verletzt.«
Das hoffte Will auch. Sicher war er nicht. Abgesehen von den beiden Schlägen auf seinen Hinterkopf und in seinen Solarplexus, hatten die Stacheln der Brombeerhecke ihr Bestes getan, um seinen ganzen Körper in ein Nadelkissen zu verwandeln. Er spürte, dass er an Dutzenden von Stellen blutete. Umständlich versuchte er sich in die Höhe zu stemmen, knickte ein und schluckte schließlich seinen Stolz herunter, als der Langhaarige die Hand ausstreckte, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass er dabei so fest zugriff, dass Will das Gefühl hatte, die Finger seiner rechten Hand wären in einen Schraubstock geraten.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte die Frau.
Will nickte nur stumm.
Jetzt, da er wieder halbwegs aufrecht stand, sah Will, dass die Frau ebenso klein, wie ihr Begleiter riesenhaft war. Selbst er, der allenfalls von durchschnittlichem Wuchs war, überragte sie fast um einen Kopf. Seltsam – er kam sich dennoch kleiner und irgendwie hilflos vor, als er ihr in die Augen blickte. »Und Sie sind auch wirklich nicht verletzt?«
»Nein«, murmelte Will. »Aber ich …«
»Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich jetzt fühlen«, unterbrach ihn die Frau. Will glaubte das nicht, aber sie fuhr fort, ohne seine Antwort
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