Feuer: Roman (German Edition)
wohl kaum noch halten.
Will riss die Finger aus der Hosentasche. Er hätte sowieso nicht gewusst, was er mit dem Elektroschocker hätte machen sollen, wenn er ihn in den Händen gehalten hätte. Auf den unbekannten Autofahrer losgehen, wie eine Albtraumgestalt aus dem Graben hochspringen, mit verzerrtem Gesicht, blau gefrorenen Lippen und nacktem Oberkörper, um ihn dann mit dem Elektroschocker zu attackieren und dabei zu brüllen: »Gib mir mein Funkgerät wieder?« Das war absolut lächerlich. Aber irgendetwas musste er tun.
Er richtete sich weiter auf und schob ganz langsam den Kopf über den Rand der Böschung, genau in dem Moment, als der Autofahrer den zweiten Fuß auf die Betonpiste setzte. Will starrte auf die verstärkten Kappen zweier schwarzer Lederstiefel und ließ den Blick über eine leichte schwarze Hose wandern, die nicht so ganz zu den schweren Stiefeln passen wollte – und dann über die verrostete, löchrige Unterkante einer ehemals wohl knallroten, jetzt aber nur stumpf und hässlich wirkenden Autotür, die aussah, als würde sie zu einem schmalbrüstigen 40-PS-Polo aus dem Jahre neunzehnhundertfünfundsiebzig gehören.
Das Funkgerät lag, vom unruhigen Licht des altersschwachen Polo angestrahlt, nur gut einen Meter von ihm entfernt. Er hätte sich bloß vorbeugen und die Hand ausstrecken müssen, um es zu packen und an sich zu bringen. Die Frage war, wie der Fahrer darauf reagieren würde. Wer um diese Uhrzeit mit einem Autowrack hier langfuhr, das der TÜV wahrscheinlich das letzte Mal zu Duffys Geburt zu Gesicht bekommen hatte, und ohne zu zögern ausstieg, nur um irgendwelchen Elektronikschrott einzusammeln, war wahrscheinlich nicht gerade das, was man ein Weichei nannte. Es fehlte ihm noch, den Stiefel von einem Was-guckst-du-Typ ins Gesicht zu bekommen, der sich von ihm bedroht fühlte und lieber schnell mal zutrat, statt Fragen zu stellen.
Will hätte sich selbst in den Hintern treten können. Wenn er Georgs Anweisung doch nur etwas schneller befolgt hätte. Oder wenn er das Funkgerät statt des Elektroschockers in die Hosentasche gestopft hätte …
Der nur flüchtig aufblitzende Gedanke brachte ihn auf eine Idee. Wieder fingerte er am Kunststoffgriff des Elektroschockers herum, aber diesmal verlieh ihm die aufkommende Panik zusätzliche Kraft. Der stolze Besitzer des Uralt-Polos machte einen Schritt nach vorne, drückte die roststrotzende Autotür zu, und gleich würde er sich bücken, um das Funkgerät aufzuheben.
Dann kam der Schocker endlich frei. In seinen halb erstarrten Fingern hatte Will so wenig Gefühl, dass ihm die Waffe fast wieder entglitten wäre, doch dann griff er mit der anderen Hand zu und umklammerte sie wie einen Ball, den man schnell zu einem Mitspieler abgeben wollte.
Er wollte die Waffe werfen, genau in den Lichtkegel des Polos hinein, damit sie laut und scheppernd auf dem Beton aufschlug. Dann konnte der Fahrer gar nicht anders, als dort hinzublicken. In diesem Moment brauchte er bloß zuzugreifen, sich das Funkgerät zu schnappen, und dann runter in den Graben und auf der anderen Seite wieder hoch. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihn der Unbekannte verfolgen würde, und schon gar nicht würde er wegen so einer Bagatelle die Bullen rufen.
Es wäre wahrscheinlich alles nach Plan verlaufen, wenn er nicht hochgeblickt hätte. Jetzt konnte er den Polo-Fahrer sehen. Nur, dass es kein Fahrer war, sondern eine Fahrerin. Sie trug eine hellblaue Windjacke und ein Kopftuch, das ihr Gesicht fast vollständig verdeckte, zumindest aus seinem Blickwinkel gesehen. Aus irgendeinem Grund brachte ihn das aus dem Konzept. Er war sicher gewesen, dass es ein Mann war, der zu dieser Uhrzeit auf dieser einsamen Zufahrt unterwegs war, vor allem, weil er sich nicht hatte vorstellen können, dass eine Frau das Risiko einging, hier mit einem Wagen zu halten, der jederzeit endgültig den Geist aufgeben konnte, und dann auch noch in aller Seelenruhe auszusteigen.
Die Ahnung, dass hier etwas Fürchterliches geschehen war, verdichtete sich zur Gewissheit, als ich um die letzte Ecke des Pfades bog, der mir mit schneebeladenem Gesträuch den Blick auf das flammende Inferno auf dem Grunde des Tals zu verbergen trachtete. Die Spuren, die hier herabführten, der hart getrampelte, gefährlich glatte Schnee hätten mir eigentlich schon Warnung genug sein müssen. In meiner Vorstellung war es Thor selbst gewesen, der, als er unseren – meinen! – Frevel entdeckte, seine Wut mit einer
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