Feuer: Roman (German Edition)
Feuerlohe auf uns entladen hatte. Aber vielleicht stimmte das ja gar nicht. Vielleicht hatte er menschliche Verbündete gesandt, Krieger, die uns an seiner statt vernichten sollten, die die Gemeinschaft auslöschen sollten, die sich erdreistet hatte, einen Teil seiner Macht zu stehlen und sie gewöhnlichen Sterblichen zugänglich zu machen.
Er zögerte einen Augenblick zu lange. Das gab der Frau in der hellblauen Windjacke die Gelegenheit, einen letzten Schritt vorzutreten, sich zu bücken und nach dem Funkgerät zu greifen. Bevor er auf die Idee kam, doch noch zuzugreifen, war es schon zu spät. Die Polo-Fahrerin nahm das Funkgerät, richtete sich dann auf –und blickte ihm geradewegs in die Augen.
»Hallo, Will«, wisperte sie. »Lange nicht gesehen.«
Es war Angela.
Kapitel 29
Will hätte gar nicht verdatterter sein können. Dass ihm Angela trotz aller gegenteiliger Versprechungen hierhin gefolgt war, passte zu ihr, und auch, dass sie sich mit einem Kopftuch verunstaltet hatte, statt ihr langes, fast weißes Haar wie eine Leuchtreklame durch die Nacht zu tragen. Was aber nicht passte, war dieser Uralt-Polo. Wo hatte sie die Kiste bloß so schnell aufgetrieben?
»Du siehst schrecklich aus«, fuhr Angela fort, gottlob genauso leise wie zuvor. Trotzdem brachte Will die Hand hoch, als wolle er sich die Nässe aus dem Gesicht wischen, legte dabei den Zeigefinger über den Mund, dass nur Angela diese Geste sehen konnte und kein allzu neugieriger Beobachter, und schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann hob er die Hand mit dem Elektroschocker. Angela zuckte leicht zusammen. So, wie er aussehen musste, mit klatschnassen Haaren, wirrem Blick, vor Kälte zitternden Händen und zugekniffenen Augen, wäre wahrscheinlich jede andere Frau entweder vor Schreck erstarrt oder ein paar Schritte vor ihm zurückgewichen. Nicht so Angela. Sie blickte ihn nur aus großen Augen an, eher fragend als besorgt, und als er dann mit der Waffe in Richtung des Funkgeräts in ihrer Hand deutete, nickte sie nur knapp. Sie hatte verstanden.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte sie laut.
Will schüttelte den Kopf, nur für den Fall, dass Georg auch hier jede Einzelheit sehen konnte wie vorhin am Jaguar. »Ich komme schon allein zurecht«, krächzte er.
»Hatten Sie einen Unfall?«, bohrte Angela nach.
»Nein. Ich war schwimmen.« Mit einer energischen Kopfbewegung in Richtung Polo versuchte Will Angela gleichzeitig klar zu machen, dass sie wieder in den Wagen steigen und endlich abhauen sollte. »Ich bin Extremsportler«, fügte er hinzu.
Angela ließ sich davon nicht beeindrucken, und auch dass er mit den Augen blinzelte und die Kopfbewegung in Richtung Wagen wiederholte, verfing nicht bei ihr.
»Sag mal«, fragte sie stattdessen unbekümmert, »was hast du denn eingeschmissen?«
»Wer sind Sie – die Heilsarmee?«, schnappte Will. Er begann jetzt wirklich ärgerlich zu werden.
Angela lachte, und das so überzeugend, als fände sie aus irgendeinem Grund diese Erklärung tatsächlich lustig. »Eher das Gegenteil«, sagte sie. »Aber keine Sorge. Ich hab schon viele abgedrehte Typen gesehen. Etliche sahen schlimmer aus als du.«
»Ist mir egal«, protestierte Will. »Lassen Sie mich endlich in Ruhe.«
Angela nahm das Funkgerät hoch und sagte laut und deutlich: »Das werde ich.« Dann legte sie es auf der Motorhaube ab. »Aber ich hab keinen Bock darauf, morgen in der Zeitung zu lesen, dass du hier irgendwo verreckt bist. Warte einen Moment.« Sie ging um den Wagen herum, riss die Kofferraumklappe auf, die knarrte wie ein Sargdeckel, der nach zwanzig Jahren Grabesruhe gewaltsam geöffnet wurde, und kam dann mit etwas in den Händen zurück, das aussah wie ein Lumpen, der gerade noch dazu taugte, irgendetwas Ekelhaftes mit ihm aufzuwischen.
»Da, nimm«, sagte sie und hielt ihm den Fetzen hin. »Sonst holst du dir noch eine Unterkühlung.«
Zögernd griff Will nach dem Teil, hin und her gerissen von dem Wunsch, Angela so schnell wie möglich wieder loszuwerden, und dem Verlangen danach, sich wenigstens unbeholfen vor Wind und Regen zu schützen. Es war morscher Stoff, in den er griff, eine schmutzig graue Decke, die stank, als würde sie schon seit der Erstzulassung des Polos in dem Kofferraum vor sich hin gammeln. Aber es war besser als nichts. Will breitete die Decke aus und legte sie sich dann wie eine Art Poncho um die Schultern. Die Berührung des rauen Stoffs auf der nackten, regendurchnässten Haut ließ ihn erbeben,
Weitere Kostenlose Bücher