Feuer: Roman (German Edition)
zu schaffen.
Er blieb stehen und brachte das Funkgerät an die Lippen. »Ich glaube, jetzt habe ich mir ein Lebenszeichen von Duffy verdient.«
Ein paar Störgeräusche drangen aus dem Gerät, das war alles. Georg hatte offenbar vor, ihn am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. »Georg, verdammt!«, brüllte er mit steifen Lippen. »Was soll das?«
Am liebsten hätte er ein paar Kraftausdrücke hinterhergeschickt, und vor ein paar Minuten hätte er das wahrscheinlich auch noch getan, egal, was ihm das für Nachteile hätte einbringen können. Aber dazu war er jetzt zu kraftlos. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals zuvor so gefroren zu haben. Die Kälte jagte in eisigen Schüben seinen Rücken hoch, kroch wie ein heimtückisches lähmendes Gift über den Nacken in seinen Kopf, verwirrte seine Gedanken und lähmte seine Entschlusskraft. Er spürte, dass es ihm mit jeder Sekunde, die er länger mit dem Funkgerät in der Hand stehen blieb, schwerer fallen würde, weiterzugehen. Als er sich dann endlich zum ersten Schritt aufraffte, begannen seine steif gefrorenen Beine sich wie von selbst zu bewegen, als hätten sie nur auf den ersten Anstoß gewartet.
Während die Kälte in seinem Oberkörper wütete, dass ihm fast die Luft wegblieb und er das Gefühl hatte, als würde jedes einzelne Organ schockgefroren, spürte er seinen Körper unterhalb der Hüftknochen überhaupt nicht mehr. Das hinderte seine Füße allerdings nicht daran, stur ihre Arbeit zu verrichteten, unberührt von dem eiskalten Wasser in den Schuhen, das bei jedem Schritt schwappte. Ohne sein Zutun schienen sie in der Lage zu sein, die einmal eingeschlagene Richtung weiterzuverfolgen, auch wenn er mittlerweile mehr humpelte als ging. Wenn ihm Georg wenigstens die Lederjacke gelassen hätte … Einen kurzen Augenblick erwog er, umzudrehen und zum Jaguar zurückzugehen. Der Gedanke an die Sitzheizung, die er sonst immer für übertriebenen Schnickschnack gehalten hatte, hatte etwas Verführerisches, und der an das Gebläse, das auf volle Kraft geschaltet den Innenraum des Wagens in kürzester Zeit aufheizen würde, erst recht.
»Da kommt ein Auto«, meldete sich Georg plötzlich. »Neben dir ist ein Straßengraben. Spring da rein und warte, bis der Wagen vorbei ist.«
Seine Füße stellten ihre Tätigkeit ein, bevor er das richtig mitbekam, und Will schwankte ein paarmal hin und her, bevor er es endlich schaffte, sich auszupendeln. Das Funkgerät schien Tonnen zu wiegen, als er es nach oben an den Mund zog und auf den Sprechknopf drückte. »Ich soll was?«, krächzte er.
»Du hast mich ja wohl verstanden«, sagte Georg ungeduldig. »Und nun mach schon. Der Wagen hält direkt auf dich zu.«
Will starrte aus zusammengekniffenen Augen nach vorne, auf die lang gestreckte Kurve, die sich vor ihm auftat. Er hatte den Lichtern vor sich keine große Beachtung geschenkt, doch jetzt erkannte er, dass Georg Recht hatte. Der asymmetrische Kegel des Abblendlichts eines Kleinwagens hielt auf ihn zu; das Licht war schwach, an den Rändern ausgefranst und stammte aus ganz normalen Birnen statt aus modernen, bläulich schimmernden und in den Augen beißenden Xenon-Leuchten. Will vermutete, dass der Wagen schon mehr als zehn Jahre auf dem Buckel hatte. Das war kein Streifenwagen, sondern wahrscheinlich nur eine alte Kiste, mit der hier jemand seine Strecke zur Frühschicht abkürzte oder auf dem Weg zu den nahen Baggerseen war, um dort schon in aller Herrgottsfrühe angeln zu gehen.
»Spring endlich in den Graben, Mann!«, schrie Georg.
Eine Mischung aus kindlichem Trotz und purer Erschöpfung ließ Will wie festzementiert dastehen. Hatte Georg etwa eine solche Situation nicht eingeplant? Das war aber schade.
»Du sollst …«
»Jaja.« Der Scheinwerferkegel des Wagens hatte ihn noch nicht erfasst, aber es war nicht der richtige Zeitpunkt, Georg zu reizen; das konnte er immer noch tun, wenn Duffy in Sicherheit war.
Während Georg seine Aufforderung noch einmal wiederholte, diesmal unterlegt mit Kraftausdrücken, trat Will an den Straßengraben heran und starrte hinab. Der Graben lag erstaunlich tief, aber immerhin führte er trotz des heftigen Regens der letzten Stunden nicht viel Wasser. Will bückte sich, um das Funkgerät abzulegen, das ihn nur behindert hätte bei dem, was er vorhatte, und begann mit ungelenken Bewegungen die Böschung hinabzuklettern, rückwärts wie ein kleines Kind, das sich mit den Händen im Dreck abstützt und dabei den
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