Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Ihre Augen brach er aus ihren Höhlen und fertigte Edelsteine für die Mutter der Kinder, die Zähne ergaben Brustschmuck.«
    Will konnte immer noch nicht antworten. Er kannte die alten Sagen, auch wenn sie lange Jahre tief in ihm verschüttet gewesen waren, vielleicht deshalb, weil er sie nie mit sich selbst und seinem Schicksal in Zusammenhang gebracht hatte; er kannte sie allein schon deshalb, weil sein Vater ihn immer wieder damit in Angst und Schrecken versetzt hatte.
    Und jetzt benutzte Georg sie, um ihn mit ihren Bildern in Panik zu versetzen. Aber das war beileibe nicht das Schlimmste. Ein Mann, der einem Weggefährten bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust schnitt, würde wahrscheinlich auch nicht zögern, einem Mädchen die Augen aus den Höhlen zu brechen …
    Mittlerweile zitterten nicht nur Wills Hände. Er zitterte am ganzen Leib. Alles drehte sich um ihn. Sein Herz hämmerte noch immer, schien jetzt aber irgendwie aus dem Takt zu kommen, und jeder einzelne dumpfe Schlag wurde von einem schmerzhaften, tief gehenden Stich begleitet. In den letzten Minuten hatte er kaum etwas von seiner Verletzung gespürt und auch die Erschöpfung kaum wahrgenommen, die ihn zuvor wie ein schwarzes, erstickendes Tuch umhüllt hatte. Es war ihm beinahe so vorgekommen, als tanke er Kraft und Energie mit jedem humpelnden Schritt, dem er sich der mit tiefem, dunklem Wasser voll gesogenen Senke näherte. Und obwohl dieses Gefühl noch nicht vollständig verschwunden war, spürte er doch jetzt etwas anderes, so etwas wie die dunkle, zerstörerische Seite der Energie, die in dieser Höhle und ihren von Erzadern durchzogenen Wänden seit unvorstellbar langer Zeit gespeichert war. So, wie ihm die Höhle auf der einen Seite Kraft gab, entzog sie ihm doch auf der anderen Seite pure Lebensenergie, und je länger das Grollen und Beben unter ihm anhielt und umso mehr der Drachenhauch die Luft um sie verpestete, umso mehr spürte er auch, dass seine Zeit abgelaufen war und er sich nicht mehr lange würde auf den Beinen halten können.
    »Wayland hat all das mit seinem Tod bezahlt«, fuhr Georg fort. »Aber seine Nachfahren, die Schmiede, die sich auf sein geheimes Wissen berufen konnten, haben all die Jahre im Verborgenen weiter gewirkt. Aus Wayland, dem Schmied, wurde Wieland Schmidt. Und aus dem Geschäft mit Schwertern, Schmuckstücken und Kleinoden wurde das Geschäft mit einer anderen Art zerstörerischer Waffen, mit zeitgemäßen Preziosen und Geschmeide. Von Generation zu Generation wurde mit dem Namen und dem über die Zeit gewonnenen Reichtum auch das alte Wissen um das Drachenfeuer weitergegeben … bis hin zu dir.«
    »Lokkens«, sagte Reimann plötzlich, und der Klang der Stimme, die so lange geschwiegen hatte, ließ Will zusammenzucken. Irgendwie war es falsch, dass der grauhaarige Polizist noch hier war, jetzt, nachdem sich Will wieder an so vieles erinnerte. Was auch immer noch passieren mochte, es war ausschließlich eine Sache zwischen ihm und Georg, dem Mann, der aus der direkten Linie Fenrirs stammte.
    »Er heißt Wieland Lokkens«, fuhr Reimann ungerührt fort. »Nicht Wieland Schmidt.«
    »Ja«, sagte Georg. »Ein letzter kleiner Abschiedsscherz seines Vaters. Lokkens havre ist die Bezeichnung für ein besonders unerfreuliches Unkraut, das nach Loki benannt worden ist, dem verschlagenen Feuerbringer unter den Asen …«
    »Aber wenn das stimmt«, unterbrach ihn Reimann.
    »Ja, was dann?«, fragte Georg kalt.
    »Dann …« Reimann brach ab. »Was ist hier los, Georg?«, fragte er nach zwei, drei Sekunden. In seiner Stimme war etwas, das Will alarmierte und so weit aus seiner Erstarrung riss, dass er sich beinahe umgedreht hätte. »Dieser Wieland Lokkens hier ist eine Randfigur. Ein Bastard. Ein Mann aus einer Seitenlinie Das stimmt doch, oder?«
    »Natürlich«, sagte Georg rasch – eine Spur zu rasch, wie Will fand. Sein Blick war noch immer auf Duffy gerichtet, und doch begriff er, dass sich zwischen den Männern etwas anbahnte, was weit über ein Missverständnis hinausging. Die Stiche in Wills Brust wurden so schlimm, dass er das Gefühl hatte, es würde eine glühende Nadel langsam immer tiefer in Richtung seines Herzens geschoben, und in seinem Kopf begann sich der Widerhall auf das plötzlich ungesund klingende Wummern der Kältemaschinen und der krachenden und berstenden Geräusche zu seinen Füßen zu einem hässlichen, hämmernden Schmerz zu wandeln, und dennoch … es war auch gleichzeitig, als

Weitere Kostenlose Bücher