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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Protest gar nicht zur Kenntnis. Seine Hand blieb weiter dort, wo sie war, aber er straffte trotzig-entschlossen die Schultern und setzte seinen Weg fort. Will beobachtete ihn besorgt, während sie weiter die Treppe hinuntergingen. Seine Sorge galt allerdings weniger Reimann Er mochte der sympathischere der beiden Polizisten sein, aber Bulle blieb Bulle, und es war ihm im Grunde herzlich egal, was mit einem von ihnen passierte. Aber er musste wieder an Duffy denken. Auch wenn sie vermutlich kein schwaches Herz hatte wie Reimann und er mindestens fünfmal so alt war – sie hatte drei dieser mörderischen Stromschläge kassiert!
    Ich hetzte Clara hinterher, aber ich hatte verloren, von Anfang an. Sie war schmal, abgemagert, fast hager, und dabei so geschickt wie eine Straßenkatze, die einem hinter ihr herhetzenden Rudel räudiger Straßenköter entkommen will. Mein Herz schlug so hart und schnell, dass ich das Gefühl hatte, seine Schläge bis in den Hals hinauf zu spüren. Nirgends war Sicherheit, aber alles, was uns geblieben war, war der Zug; die Verheißung, dass er uns an einen Ort bringen konnte, wo Tod und Vernichtung eine Pause einlegten, wo wir zur Ruhe kommen konnten, und sei es nur für ein paar Tage.
    Die Lokomotive stieß einen fast gequält wirkenden Pfiff aus, als ich die Tür erreichte und heraussprang, und dann bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie der Zug langsam und fast zitternd Fahrt aufnahm, rückwärts statt vorwärts und mit der Kraft eines angeschlagenen Raubtiers, das sein Heil nur noch in der Flucht finden kann. »Clara!«, schrie ich zum wiederholten Male. Ich sah sie sich am Rande des Bahngleises durch die Menschenmenge quetschen, zwanzig, dreißig Meter von mir entfernt, eine Unendlichkeit unter den unvorstellbaren Bedingungen, der kollektiven Panik, dem Stöhnen, Weinen und Wehklagen, die die Menschen erfasst hatte.
    Sie erreichten den nächsten Absatz, und als sie die Treppe zum Erdgeschoss in Angriff nahmen, erzitterte das gesamte Haus wie unter dem Fußtritt eines wütenden Dinosauriers, und aus dem Keller erklang das sonderbarste – und zugleich unheimlichste – Geräusch, das Will jemals gehört hatte. Es war sehr laut, aber es war keine Explosion; nicht einmal ein wirklicher Knall. Wenn es überhaupt mit etwas zu vergleichen war, dann vielleicht noch am ehesten mit dem Geräusch, mit dem sich ein Sektkorken aus der Flasche löste – wenn auch der größte Sektkorken, den es jemals gegeben hatte. Das Geräusch war so bizarr und in seiner Fremdartigkeit furchteinflößend, dass sie alle drei mitten in der Bewegung erstarrten. Für die nachfolgende, schier endlose Sekunde breitete sich eine fast erstickende Stille in dem heruntergekommenen Treppenhaus aus.
    »Was …«, murmelte Falkenberg, »was war das?«
    Niemand antwortete. Reimann presste noch immer eine Hand gegen die linke Brustseite, und er hatte die Kiefer so fest aufeinander gebissen, dass Will fast meinte, seine Zähne knirschen zu hören. Sein Gesicht war komplett grau geworden. Im Halbdunkel des Treppenhauses sah es mehr denn je aus wie das eines Toten, der sich nur aus irgendeinem gespenstischen Grund noch bewegte. Sein Herz bereitete ihm offensichtlich weit größere Probleme, als er zugeben wollte. Und Will spürte immer noch, dass da etwas war, etwas Unheimliches, Riesiges, das sich tief unter ihnen zusammenballte wie eine Hand, die sich zum Zuschlagen schloss. Er hob die Schultern, aber es war viel mehr ein Ausdruck von Furcht als von Hilflosigkeit.
    Vielleicht hätten sie es sogar geschafft, wären sie sofort weitergegangen, denn es waren nur noch ein knappes Dutzend Stufen nach unten und wenige Schritte zur Tür, aber sie blieben noch endlose Sekunden stehen, von einer Mischung aus Furcht und Verwirrung wie gelähmt und – jeder auf seine Art – sich der Tatsache bewusst, dass sie mit etwas Neuem, zugleich Uraltem und unbegreiflich Fremdem konfrontiert waren. Und als Reimann schließlich als Erster seine Lähmung überwand und den Fuß auf die nächste Stufe setzte, war es zu spät.
    Die unsichtbare Riesenhand hatte sich zur Faust geballt und schlug von unten gegen den Fußboden. Holz, Beton und Fliesen zerbarsten und wurden gegen die Wände und bis unter die Decke geschleudert, und noch bevor der Hagel aus Trümmerstücken und Schutt auf Will und die beiden anderen niederregnete, brach eine Woge grausamer Hitze aus dem mehr als zwei Meter messenden Loch im Fußboden hervor, versengte die schmutzigen Tapeten

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