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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und ließ die Milchglasscheibe der Haustür platzen. Will riss mit einem Schreckensschrei den linken Arm über den Kopf und drehte sich gleichzeitig weg, um sein Gesicht vor Hitze und Trümmern zu schützen, aber er sah auch, dass Reimann weniger Glück hatte als Falkenberg und er: Irgendetwas traf ihn mit furchtbarer Wucht an der Stirn und riss ihn halbwegs von den Beinen, und die Hitze war schlimm genug, seine Brauen zu versengen.
    Dann brach der Drache, dessen bloßen Atem sie bisher verspürt hatten, endgültig aus dem Boden. Seltsam – Will hatte Feuer erwartet, aber es war scheinbar das Gegenteil, eine Säule aus brüllendem, kochend heißem Dampf, durchsetzt mit glühenden Metallfetzen und Trümmern, die auf die Geschwindigkeit von Schrapnellgeschossen beschleunigt waren. Die Haustür explodierte in einem Hagel von Glasscherben auf die Straße hinaus, was einen Chor von Schreien und Rufen und ein zorniges Bremsenquietschen zur Folge hatte; Reimann brüllte vor Schmerz, als der kochende Dampf sein ungeschütztes Gesicht und seine Hände verbrühte, und brach zusammen.
    Bevor er vollends stürzen konnte, hatte Will ihn gepackt und herumgerissen. Sein rechter Arm quittierte die unvorsichtige Bewegung mit einer Explosion aus Pein, die ihn unter normalen Umständen sofort niedergeworfen hätte, aber in diesem Moment spürte er sie kaum. Sein Selbsterhaltungstrieb hatte auf das Notprogramm umgeschaltet, das ihn weder Schmerz noch Angst wirklich spüren und nur Platz für einen einzigen Gedanken ließ: Weg hier! Er schrie, aber das Brüllen des künstlichen Geysirs war so gewaltig, dass er nicht einmal das Geräusch seiner eigenen Stimme hörte. Kochender Dampf verbrühte seinen Nacken und versuchte seinen Rücken zu versengen. Die Hitze war so gewaltig, dass er sie selbst durch seine Kleidung hindurch spürte, und Reimann, den er mit sich zerrte, schien mit jeder Sekunde schwerer zu werden. Wo zum Teufel war Falkenberg?
    Ohne in seinem ungeschickten Stolpern innezuhalten, sah er nach oben. Falkenberg hatte die Treppe überwunden und stürmte weiter, ohne seinen Schritt zu verlangsamen oder auch nur zurückzublicken. Er rannte den Flur entlang, machte den vorletzten Schritt seines Lebens, um die nächste Treppe zu erreichen, und den unwiderruflich letzten, um den Fuß auf die erste Stufe zu setzen.

Kapitel 10
    Das Haus erbebte, von einem zweiten, noch gewaltigeren Fausthieb getroffen. Die Treppe hob sich um fast einen halben Meter und versuchte, Will und die anderen abzuschütteln, und in der Wand neben ihnen erschien ein geometrisches Muster aus zerberstendem Putz und reißender Tapete, wie eine pulsierende Ader, die bei einem Schlaganfall durch die Haut getrieben wird. Das Muster raste die Wand hinauf, beschrieb einen scharfen Knick und legte noch einmal an Tempo zu, um Falkenberg zu verfolgen.
    Unmittelbar neben ihm explodierte es.
    Tausend Grad heißer Dampf riss die altersschwachen Wasserleitungen in Stücke, pulverisierte die dünne Haut aus Gips und Papier, unter der sie zwei Generationen lang verborgen gewesen waren, und verbrannte Falkenberg von Kopf bis Fuß, bevor die zerfetzte Kupferleitung wie eine Peitschenschnur aus der Wand schoss und ihn enthauptete. Falkenbergs kopfloser Torso kippte nach links, prallte gegen das Treppengeländer und stürzte hinüber. Seine hilflos pendelnden Hände schienen verzweifelt nach einem Halt zu suchen, und der abgeschlagene Kopf rollte noch ein Stück weit über den Boden, blieb aber barmherzigerweise dann so liegen, dass man sein Gesicht nicht sehen konnte. Falkenbergs Körper fiel wie ein Stein in die Tiefe, und Will, den die Erschütterung auf die Knie geworfen hatte, folgte ihm mit fassungslosem Blick.
    Clara hatte ihren Vorsprung weiter ausgebaut, und wenn ich nicht gewusst hätte, wohin sie wollte, hätte ich nie die Chance gehabt, ihr auf den Fersen zu bleiben. Nach dem, was ich aus dem Zugfenster gesehen hatte, hatte ich geglaubt, dass die Stadt schlimm getroffen worden war. Doch das stimmte nicht. Sie war nicht schlimm, sie war verheerend getroffen, und die Menschen, die auf ihren Straßen Verletzte stützten, Habseligkeiten schleppten oder voll banger Vorahnung Freunde und Verwandte suchten, wirkten wie aufgeschreckte Parasiten im Pelz eines tödlich getroffenen Untiers. Unmöglich, die Toten zu zählen, an denen ich vorbeihetzte, unmöglich, die Übersicht über die Bombenkrater, die qualmenden Autos, die zerstörten, eingestürzten Hausfassaden und

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