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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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brennende Haus – oder um das Mädchen, das gerade die schwere Holztür aufriss und mitten in den Rauch hineinsprang, in das finstere, graue Dräuen, das dahinter lauerte, als wäre es kein in Flammen stehender Hausflur, sondern die düstere und unheimliche Höhle eines Drachen, der allen Verderben brachte, die sich ihm unvorsichtigerweise auslieferten.
    Ich hatte das Gefühl, als würde sich mein Hals zusammenziehen, immer enger und enger, wie zusammengedrückt, so als würde mich jemand meiner Atemluft berauben wollen, als wolle man mich erdrosseln. Ich wurde langsamer, ohne jedoch meinen Schritt ganz zu verlangsamen. Das Entsetzliche, das dort in diesem Haus auf Clara lauerte, hatte nichts zu tun mit dem Grauen des Bombenangriffs; und wenn doch, dann auf eine düstere, unaussprechliche Weise. Die Tür stand weit offen, und als ich vor ihr ankam, schälten sich die dunklen Umrisse der unversehrt wirkenden Treppe vor meinen Augen heraus: Von Clara war keine Spur zu sehen. Ich zögerte, bevor ich meinen Fuß in das Wallen hineinsetzte, ich zögerte vielleicht einen Augenblick zu lange, denn im selben Moment, als ich mich mit einem nächsten Schritt den grauen Schwaden, dem erstickenden Dräuen auslieferte, hörte ich einen fürchterlichen, markerschütternden Schrei …
    Sie erreichten das Ende der Treppe, und ein noch heftigerer Stoß erschütterte das Gebäude. Über ihnen zerbarst irgendetwas und stürzte mit gewaltigem Getöse zu Boden. Zerbrechendes Glas klirrte, und die Erschütterung riss Will und Reimann abermals von den Füßen.
    Er fiel schwer auf den Rücken, blieb einen Moment benommen liegen und stemmte sich wieder hoch. Ein unterdrücktes Stöhnen kam über seine Lippen.
    Der Anblick unter ihnen hatte sich radikal verändert. Die brodelnde gelbe Masse hatte das Erdgeschoss erreicht und drang gleichzeitig über die Treppe und das gezackte Loch im Fußboden herein, und so unglaublich es Will selbst jetzt noch erschien: Es war Lava. Eine zähflüssige Masse, die an der Oberfläche immer wieder erkaltete und von Gelb nach Rot abkühlte, um erneut aufzubrechen und in gleißendem bösem Gelb zu erstrahlen. Alles, was mit den Rändern der zähflüssigen gelben Masse in Berührung kam und nicht aus Stein oder Beton bestand, ging unverzüglich in Flammen auf, und in die glühend heiße Luft, die zu ihnen emporfauchte, mischte sich jetzt auch noch erstickender Qualm.
    Die Flammen griffen mit rasender Geschwindigkeit um sich, leckten an den Wänden und dem hölzernen Treppengeländer hoch und setzten den Türrahmen in Brand, während sich die zähflüssige gelbe Masse mit trügerischer Langsamkeit ausbreitete, eine gierige gelbe Zunge auf die Straße hinausstreckte und schließlich die Treppe berührte. Das uralte Holz zerfiel unter der Berührung des flüssigen Gesteins praktisch sofort zu Asche, aber die zweite und auch die darüber liegende Stufe fingen mit einer Reihe trockener, an gedämpfte Pistolenschüsse erinnernder Knallgeräusche Feuer, und obwohl er wusste, dass es eigentlich unmöglich war, hatte Will das Gefühl, dass die Hitze schlagartig noch weiter anstieg.
    Die vierte Stufe fing Feuer, dann die fünfte, und es war nicht die brodelnde Lava, sondern der Anblick der knisternd die Treppe hinaufspringenden Flammen, der Will klar machte, dass er sich nach wie vor in akuter Lebensgefahr befand. Er raffte sich auf, stemmte sich auf die Knie hoch und versuchte auch Reimann in die Höhe zu ziehen. Es gelang ihm nicht. Sein rechter Arm tat erstaunlicherweise kaum noch weh, aber die Anstrengung war zu viel für das überdehnte Schultergelenk gewesen; der Arm war praktisch gelähmt, und Reimann war viel zu schwer, um ihn mit nur einer Hand in die Höhe zu ziehen.
    »Reimann«, flehte er. »Sie müssen mir helfen!«
    Reimann stöhnte. Er versuchte die Augen zu öffnen, aber diesmal blieb der trübe Schleier auf seinen Netzhäuten, und Will begriff, dass er seine Worte möglicherweise noch hörte, aber nicht mehr in der Lage war, darauf zu reagieren. Zum ersten Mal gestattete er dem Gedanken Gestalt anzunehmen, dass Reimann vielleicht sterben könnte, nicht irgendwann, sondern hier und jetzt. Wenn ihn sein Herz nicht umbrachte, dann würden es die schrecklichen Verletzungen tun, die er davongetragen hatte, und wenn nicht sie, dann die Hitze und der Rauch. Verzweifelt krallte er seine linke Hand in Reimanns Mantel und zerrte ihn so weit von der Treppe fort, dass seine Beine wenigstens nicht mehr in die Tiefe

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