Feuer: Roman (German Edition)
auseinander gerissenen Häuserzeilen zu behalten; und unmöglich, die Leichenteile zu ignorieren, die zu bergen sich im Moment niemand die Mühe machte.
Als Clara in die einst dunkle und jetzt durch brennende Häuserzeilen in rötlichem Licht flackernde und seltsam unwirklich wirkende Gasse einbog, in der sie ein paar Jahre gelebt hatte, sah ich ihren Haarschopf kurz aufblitzen. Ich eilte ihr hinterher. Was auch immer geschah: Ich musste verhindern, dass sie dieses Haus betrat, das ihr viel zu lange Heim und Gefängnis zugleich gewesen war.
Falkenbergs Leichnam stürzte an der Treppe vorbei und weiter in den Keller hinab, aber dort, wo gerade noch brodelnder grauer Dampf gewesen war, loderte jetzt ein bösartiges, gelbes Licht. Sie hatten die Atemstöße des Drachen überlebt, aber nun blickten sie in sein Auge, und Will spürte die Wut der Bestie auf alles Lebende. Es war nicht vorbei. Es hatte noch nicht einmal richtig begonnen.
Und plötzlich war die Angst doch da; eine Furcht, die nicht dem Tod galt, sondern etwas ungleich Schlimmerem, nicht der körperlichen Gefahr, die von diesem gelben Licht ausging, sondern dem, wofür es stand, der absoluten Verneinung alles Lebenden und Atmenden, und die alles andere einfach hinwegfegte. Will sprang auf die Füße, zerrte Reimann einfach mit sich und erlebte einen Moment jähen Schreckens, als Reimann keine Anstalten machte, ihm zu helfen, sondern so schlaff wieder in sich zusammensank, dass er Will um ein Haar gleich wieder von den Füßen gerissen hätte. Aber dann öffnete Reimann die Augen. Er lebte, und auch wenn sein Blick verschleiert war, schien er doch zu begreifen, was um ihn herum geschah. Stöhnend versuchte er, sich in die Höhe zu stemmen, aber seine Kraft reichte nicht.
»Wir müssen raus hier!«, schrie Will. »Reimann! Ich schaffe es nicht allein! Sie müssen mir helfen!«
Er bezweifelte, dass Reimann seine Worte überhaupt hörte. Reimanns Gesicht bot einen furchtbaren Anblick. Seine Haut war nach wie vor grau, und die Lippen hatten sich bläulich verfärbt. Die Dampfexplosion hatte das Blut von seinem Gesicht gewaschen, aber die Hitze hatte auch ein Dutzend großer, nässender Brandblasen auf seinen Wangen und der Stirn entstehen lassen. Wenn Reimann überhaupt noch in der Lage war, etwas zu empfinden, dann musste er vor Schmerz nahezu wahnsinnig sein. Doch das Wunder geschah: Wenigstens für einen Moment hob sich der Schleier von seinem Blick. Seine Hand krallte sich in Wills Arm, und irgendwoher nahm er trotz seiner schrecklichen Verletzungen doch noch die Kraft, sich in die Höhe zu ziehen und mit der anderen Hand am Treppengeländer Halt zu suchen.
»Kommen Sie!«, keuchte Will. »Wir müssen weg! Hier fliegt gleich alles in die Luft!«
Reimann würgte eine Antwort hervor und kämpfte sich eine weitere Stufe voran, und Wills Herz machte einen Sprung, als er den Fehler beging, einen weiteren Blick in den Keller hinabzuwerfen. Falkenbergs Leichnam war spurlos verschwunden, aber das gelbe Licht loderte jetzt intensiver. Es schien näher gekommen zu sein, und ein Netz dunkler Linien hatte sich auf seiner Oberfläche gebildet. Ein Schwall trockener Hitze wehte aus der Tiefe herauf und ließ die Feuchtigkeit auf Wills Gesicht und Haar verdunsten, und er konnte Flammen riechen …
War das … Lava?
Der Gedanke war so bizarr, dass Will eine geschlagene Sekunde lang einfach dastand und in die Tiefe blickte, und plötzlich war es Reimann, der ihn weiterriss. Unter ihnen loderte gelbe Glut weiter empor, und die Hitze stieg mit jedem Sekundenbruchteil. Der schmale Hausflur bündelte die glühende Luft und ließ sie wie in einem Kamin in die Höhe fauchen. Seit der Dampfexplosion waren erst wenige Sekunden vergangen, ganz gleich, was in dieser Zeit auch geschehen war und wie endlos sie ihm vorkommen mochte, aber jeder Tropfen Feuchtigkeit hier drinnen war bereits verdunstet, und die Hitze war so gewaltig, dass sie kaum mehr atmen konnten.
Ich war nicht schnell genug. Das Haus stand noch, doch es brannte. Aus seinem Dachstuhl schlugen helle Flammen – dort, wo der Orden seine geheimen Unterlagen gehortet hatte, bevor dieser furchtbare Vernichtungskrieg begonnen hatte – , und die Fensterscheiben waren geplatzt; grün-gelbe Flammen züngelten daraus so weit hervor, als wollten sie über die Gasse hinweg auf die wie durch ein Wunder unversehrt gebliebene Häuserzeile auf der gegenüberliegenden Straßenseite übergreifen. Niemand kümmerte sich um das
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