Feuer und Glas - Der Pakt
ergeben ein Ganzes.
Jetzt brauchte Milla die Schaufel, die sie mitgebracht hatte.
Sie stand auf, setzte sie an, stieß tiefer und immer tiefer hinein. Doch alles, was sie zutage förderte, war staubiges Erdreich.
Enttäuschung drohte sie zu überwältigen.
Was, wenn sie abermals zu spät gekommen war und die Gondel ein weiteres, ihr unbekanntes Versteck gefunden hatte?
Dann stieß die Schaufel plötzlich an ein Hindernis.
Milla fiel auf die Knie, warf die Schaufel weg und grub mit bloßen Händen weiter. Sie spürte Holz, schob jetzt wie rasend die Erde beiseite, bis sie ein längliches Kästchen freigelegt hatte.
Ein tiefer Seufzer kam aus ihrer Brust.
Langsam öffnete Milla den Deckel.
Z w öl f tes Kapitel
Millas Hand zitterte, als sie Marin die Gondel überreichte.
Andächtig nahm er sie entgegen und beugte sich dann über das gläserne Artefakt. Solange er sie ruhig hielt, war die Gondel durchsichtig, doch schon bei der kleinsten Bewegung glommen im Schein der Kerzen unzählige Farben auf.
»Du hast sie gefunden«, sagte Marin. »Die Zeilen des Feuerkopfs haben dich zu ihr geführt. Dein Vater wird sehr stolz auf dich sein, Milla, wenn er davon erfährt! Jetzt können Wasser und Feuer endlich ins Gleichgewicht kommen. Ich freue mich darauf, wenn wieder Frieden herrscht!«
Sie berührte seinen Arm, als suchte sie Schutz.
»Du klingst so stark, so sicher! Ich weiß aber gar nicht mehr, ob Luca und ich die Richtigen für diese große Aufgabe sind. Was, wenn es uns nicht gelingt, den Pakt zu erneuern? Dann wären wir schuld daran, dass Venedig endgültig zugrunde gehen muss!«
»Warum zweifelst du so, Milla?«, fragte Marin leise.
»Weil ich …« Sie wandte sich ab. Wenn der Gondelbauer Augen im Kopf hatte, musste er doch längst wissen, was sie für seinen Großneffen empfand!
»So mutlos kenne ich dich gar nicht«, sagte er. »Wovor hast du Angst?«
»Und wenn man dabei stirbt?«, flüsterte Milla. »Ich habe Bilder gesehen, die mich das Schlimmste befürchten lassen. Sag mir, dass es anders sein wird! Sonst fehlt mir die Kraft zu gehen.«
Sein Blick wurde weich.
»Das kann ich nicht. So gern ich es auch für dich täte. Jedes Ende birgt einen Neuanfang in sich. Das ist eine alte Weisheit, die sich immer wieder bewahrheitet. Hat Leandro niemals mit dir darüber gesprochen?«
»Doch.« Millas Stimme war nur noch ein Wispern. »Aber damals war ich zu jung, um es zu verstehen.«
»Wie sehr ich deinen klugen Vater vermisse! Der Feuerkopf war auf Ondana, das hat er den meisten anderen voraus. Ich bin mir sogar sicher, mehr als einmal.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Milla.
»Etwas, das ich noch keinem Menschen verraten habe. Doch du sollst, ja, du musst es wissen.« Marin begann zu hüsteln. »Es geht um jenen Tag, an dem Leandro verschwunden ist«, fuhr er fort. »Keiner will ihn damals gesehen haben, und ich habe das ebenfalls behauptet, als man mich gefragt hat. Aber es entspricht nicht ganz der Wahrheit.«
Die Gondel begann zu glühen.
»Da war ein Boot«, fuhr er fort. »Das sich in der Dämmerung durch die Lagune bewegte, als gäbe es nur ein einziges Ziel. Die Richtung war Ondana …«
Rötliche Feuerzungen liefen über das Glas.
»Du meinst, er könnte womöglich noch immer dort sein … all die vielen Jahre?«, fragte Milla, ohne den Blick von der Gondel lösen zu können.
»Du wirst es nur herausfinden, wenn du auf Ondana den Pakt mit Luca tatsächlich vollziehst.«
»Und wenn einer von uns nicht zurückkehrt?«
»San Teodoro wacht über Luca, den Wassersohn«, sagte Marin. »San Marco hält seine Hand über dich, das Feuermädchen. Die stärksten und mächtigsten Heiligen Venedigs sind eure Schutzengel – das solltet ihr niemals vergessen.«
Milla hob den Kopf und sah ihn lange an. Ihre Augen strahlten nicht, aber ihr Blick war auch nicht wütend oder verletzt.
»Ich habe immer noch so große Angst«, sagte sie.
»Dann stell dich ihr! Ihr habt die Gondel – und eure Herzen, die euch leiten und führen werden. Angst kann auch klug machen, vorausgesetzt, du erlaubst ihr nicht, das Ruder ganz zu übernehmen. Hast du schon von deiner Mutter und deiner Tante Abschied genommen?«
»Ja«, sagte Milla. »Wir haben zusammen geweint. Aber sie haben nicht versucht, mich abzuhalten – wenn ich gehen will.«
»Und willst du gehen? Seid ihr beide noch immer bereit dazu?«
»Das musst du Luca selbst fragen«, sagte sie.
»Dann kenne ich die Antwort bereits. Öffne deine
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