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Feuer und Glas - Der Pakt

Feuer und Glas - Der Pakt

Titel: Feuer und Glas - Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Schreibtisch stand, und nahm behutsam die gläserne Gondel heraus. »Nach reiflicher Überlegung bin ich überzeugt, dass du und nur du der Richtige dafür bist!«
    Marco verspürte einen ähnlichen Schwindel wie morgens im Verließ. Die Gondel der Wahrheit, vereint mit ihrem Ruder, dachte er. Nun wird sie an den Tag bringen, was wirklich geschah!
    Zart, durchsichtig und zerbrechlich lag sie in den knochigen Händen des Alten, ein kostbares Kleinod, fast überirdisch schön – und dennoch überfiel ihn bei ihrem Anblick eine nie zuvor gekannte Furcht.
    Der Admiral kam langsam näher, nicht ganz sicher auf den Beinen, weil er notgedrungen auf seinen Stock verzichten musste.
    »Sie kann Menschen in den Wahnsinn treiben«, hörte Marco ihn flüstern. »Und Heilige in lüsterne Tiere verwandeln. Sie reißt dir die Maske vom Gesicht und entblößt deine Nacktheit. Sie treibt dich in das Herz der Finsternis, führt dich zu den Klippen der dunkelsten Erkenntnis. Was zeigt sie dir, Bellino? Einen jungen Mann, der den rechten Weg verlassen hat, weil er nicht mehr weiß, wohin er gehört? Eine Hökernase? Widerspenstiges Feuerhaar?«
    Seine Stimme schwoll an, während er ihn an der Brust mit der Gondel berührte. »Einen elenden Verräter, den die Höllenhunde jagen, bis sie ihn in abertausend Stücke zerrissen haben?«
    Marco hatte das Gefühl zu schwanken, doch er stand ganz still.
    Sein Kopf fühlte sich plötzlich leicht an, als ob eine frische Brise ihn umwehte. Seine Lider sanken herab.
    Er kann mir nichts tun, dachte er. Die Gondel der Wahrheit verschont mich! Da ist keine Schwärze, kein Abgrund, kein Grauen. Alles, was ich spüre, sind Frieden und Erleichterung.
    Marco fühlte, wie sich seine Mundwinkel entspannten.
    »Das Lächeln werde ich dir schon noch austreiben«, rief der Alte und erhob das gläserne Artefakt. »Der Gondel der Wahrheit entgeht niemand. Schau sie an, Bellino! Mach gefälligst die Augen auf – solange die Ratten in den pozzi sie dir noch nicht rausgefressen haben! Welche Strafe hält sie für dich bereit?«
    Jetzt stand er so nah vor ihm, dass Marco überdeutlich jede Einzelheit seines verwüsteten Gesichts erkennen konnte. Die Falten des Missmuts. Die Krähenfüße des Hochmuts. Die scharfen Linien des Stolzes. Die Wucherungen der Gier. Die Narben der Überheblichkeit.
    Etwas unendlich Bitteres stieg in ihm empor.
    Wie hatte er jemals zu ihm aufsehen können?
    Die Not und Einsamkeit seiner frühen Jahre mussten ihn blind gemacht haben. Noch ein wenig länger in der Nähe des Admirals – und mit ihm selbst wäre Ähnliches geschehen. Deshalb hatte er auch Salvatore Querini so verachtet – der Wasserspion war nichts anderes gewesen als er selbst: ein Außenseiter und Emporkömmling, der mit allen Mitteln versucht hatte, dazuzugehören.
    »Ich liebe die Gondel der Wahrheit«, sagte Marco. »Sie ist klug, gerecht und gütig …«
    Von draußen näherten sich Schritte, dann ertönte ein Poltern und aufgeregtes Schreien.
    Der Kopf des Alten flog herum. Die Gondel hielt er gegen seine Brust gepresst.
    »Was ist das für ein Aufruhr?«, schrie er. »Habe ich nicht ausdrücklich angeordnet, dass ich ungestört bleiben muss?«
    Die Tür flog auf. Ein Mann stürzte herein, schweißnass, das Gesicht verzerrt, voller Schmutz und Staub.
    »Alles verloren, Exzellenz!«, schrie er. »Die Schlacht … Unsere Truppen wurden bei einem Ort namens Agnadello vernichtend geschlagen! Die ganze Nacht und den halben Tag war ich im Sattel, um Euch diese Nachricht zu überbringen.« Er stürzte kraftlos vor dem Admiral zu Boden und umklammerte im Liegen dessen Füße. »Bestraft mich nicht, ich bitte Euch! Ich bin bloß der Bote …«
    Der Admiral versetzte ihm einen wütenden Tritt.
    »Steh sofort auf und mach, dass du hinauskommst! Ich will deine unverschämten Lügen nicht länger hören.«
    »Aber er hat recht!« Aufgelöst kam nun auch Paolo hereingelaufen, gefolgt von Federico. »Was er sagt, ist wahr. Das ganze Arsenal spricht von nichts anderem. Überall in der Stadt rufen die Leute es sich zu. Wir haben verloren! Die Liga hat uns besiegt. Zehntausende unserer Soldaten sind gefallen, der Rest ist geflohen oder wurde gefangen genommen. Angeblich sollen die Feinde schon auf dem Marsch hierher sein. Venedig ist tot – tot, tot, tot!«
    Der Admiral schien plötzlich wie in Trance.
    »Wie konntest du mir das antun?« Er begann die Gondel zu schütteln, als sei sie ein lebendiges Wesen, das zur Vernunft gebracht

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