Feuer und Glas - Der Pakt
so herzzerreißend, wenn sie bei ihnen angelangt war, dass Ysa ihr einen Becher Wein einschenkte, der dann jedes Mal erstaunlich schnell leer getrunken war.
»So ganz allein heute, Mädchen?« Ihr Tonfall verriet abgrundtiefe Enttäuschung.
»Warte!«, rief Milla, die sich plötzlich sehr erwachsen vorkam. »Dein Geld kriegst du heute von mir. Und durstig sollst du auch nicht bleiben müssen.«
Für einen Augenblick glaubte sie aus den Augenwinkeln einen grauen Katzenschwanz zu erspähen, der allerdings blitzschnell wieder verschwunden war. Doch Milla wunderte sich nicht. Alles, was sie in jenem verschwiegenen Garten erlebt hatte, erschien ihr mittlerweile ohnehin einem Traum näher als der Wirklichkeit – leider hatte diese Wirklichkeit sie viel zu schnell wieder eingeholt.
Sie bückte sich nach dem Zweitschlüssel, der für Notfälle in einem Blumentopf lag, und ärgerte sich, als sie beim Umschauen feststellen musste, dass die wieselflinken Augen der Alten sie dabei neugierig verfolgten. Eigentlich sollte niemand von diesem Versteck wissen, das hatten Mutter und Tante ihr eingeschärft. Aber was gäbe es in der kleinen Taverne außer ein wenig Wechselgeld schon zu stehlen?
Milla stieß die Fensterläden auf, ließ die weiche Frühlingsluft hinein und schloss die Vordertür auf. Ein paar Sonnenstrahlen fielen auf den gestampften Boden, der ständig gefegt wurde und doch schon wieder schmuddelig aussah. Zusammen mit der Wasserverkäuferin hievte sie die Krüge in den kleinen Vorratsraum, dann griff sie in Ysas Versteck neben dem Herd und zog ein paar Münzen heraus.
»Hier«, sagte sie. »Für dich.«
Die gichtige Hand blieb so lange fordernd ausgestreckt, bis sie ihr einen Becher Rotwein gereicht hatte. Dann endlich verwandelte sich das Japsen in zufriedenes Brummen.
Da hatte Milla längst zu fegen begonnen, eine einfache Melodie summend, die sie seit ein paar Tagen nicht mehr losließ. Während sie noch einmal über die Tische wischte, spürte sie plötzlich, wie hungrig sie war. Rasch lief sie in die Küche, um die Glut zu entfachen. Danach stellte sie die Eisenpfanne auf die Feuerstelle, goss Öl hinein und schlug ein halbes Dutzend Eier auf, um Savinia und Ysa nach ihrer Rückkehr mit einem Imbiss zu überraschen. Der kräftige Geruch ließ ihren Magen noch lauter knurren, doch plötzlich war es, als wären die Mauern der kleinen Taverne verschwunden.
Jenes Blau – war es wirklich gewesen?
Vielleicht würde sie nach der gestrigen überstürzten Flucht niemals mehr Gelegenheit erhalten, das zu erfahren.
Erneut überfiel Milla das Gefühl von Verlust. Aber wie konnte das sein, wo sie jenen Mann doch kaum kannte?
»Sollte das, was hier gerade in der Pfanne verkohlt, etwa unser Frühstück sein?«
Mutter und Tante waren mit ihren Körben zurück!
»Ich wollte doch nur …«
»Das sehe ich!« Savinia tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Hast du auch nur die leiseste Ahnung, was heute auf dem Markt los war? Um jede Bohne einzeln schlagen musste man sich – und sie dann auch noch in Silber aufwiegen!« Sie griff nach ihrer Schürze. »Also, kratz die Pfanne aus, damit wir richtig anfangen können!«
Bald darauf war das ippocampo so voll nie zuvor. Da es wegen der drohenden Kriegserklärung Frankreichs an Venedig Neuigkeit über Neuigkeit gab, blieben die Marktleute länger als gewöhnlich sitzen, und kaum war endlich ein Tisch frei geworden, stürzten sich schon die Nächsten darauf. Milla spürte ihre Füße kaum noch, so oft war sie von der Küche in den Gastraum und wieder zurück gerannt. Ihr Lächeln wirkte wie eingefroren, Arme und Schultern taten ihr weh, und sie wünschte sich nur noch, dass endlich alle satt wären.
Irgendwann begann es ruhiger zu werden, zum Glück, wie Ysa zwischendrin inbrünstig ausstieß, denn Töpfe und Pfannen waren inzwischen nahezu leer. Als Milla die letzten Gerichte servierte, stutzte sie plötzlich. Ganz hinten, dort, wo sonst Salvatore am liebsten hockte, saß Marco.
War er zufällig da oder verfolgte er sie?
Gleichzeitig traf sie die Ähnlichkeit mit ihrem Vater wie ein Schlag.
»Fischsuppe«, sagte er, als sie an seinen Tisch kam, als sei seine Anwesenheit ganz selbstverständlich. »Und dazu einen kleinen Krug Weißwein.«
»Fischsuppe ist aus«, erwiderte sie gereizt. »Was willst du hier?«
»Nicht ganz, Milla!«, mischte sich Ysa ein. »Eine Portion haben wir noch. Soll ich sie dem Herrn bringen lassen?«
Marco nickte, während Tante und
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