Feuer und Glas - Der Pakt
mich inzwischen wieder erinnern.«
»Wo dann könnte sie sein?« Ysas Stimme klang matt. »Ob Leandro sie hat?«
»Wozu sollte mein Vater mir die Gondel erst schenken, um sie anschließend heimlich wieder an sich zu nehmen? Das ergibt doch keinen Sinn!«
Es war, als legte sich ein Schatten über Ysas Züge.
»Vielleicht ja doch«, sagte sie langsam, als wäge sie jedes Wort einzeln ab. »Du musst wissen, Milla, sie ist sehr kostbar. Nach ihr suchen unsere Leute seit Jahren.«
»Hätte er sie dann einem Kind anvertraut?« Ungläubig schüttelte Milla den Kopf. »Ausgerechnet mein Vater, der alles über Glas weiß! Was, wenn ich sie beim Spielen zerbrochen hätte?«
»Du bist sein Fleisch und Blut.« Schon zum zweiten Mal hörte sie nun diesen Satz aus Ysas Mund. »Vielleicht hat Leandro dich ja zu etwas Besonderem ausersehen. Außerdem zerbricht diese Gondel nicht so leicht.«
Millas Herz schlug schneller. Ihre Hände waren auf einmal feucht.
»Ausersehen – wozu?«, fragte sie.
Ysa wiegte den lockigen Kopf.
»Du fragst zu viel, Milla! Sollten die Falschen dich in die Hände bekommen und gewaltsam zum Reden zwingen …« Sie wandte sich ab.
»Du redest wieder von ihnen – den Wasserleuten? Aber müsste ich dann nicht erst recht alles wissen, um mich gegen sie wappnen zu können?«
Ysa fuhr zu ihr herum.
»Sie sind ebenfalls auf diese Gondel aus. Das kann ich dir verraten. Aber sie darf niemals in ihren Besitz gelangen!«
»Weshalb?«
»In den Händen der Wasserleute würde die Gondel zur gefährlichen Waffe, und keiner in Venedig wäre dann mehr sicher. Wir müssen schneller sein. Und klüger. Das ist das Einzige, was zählt!«
Die Wände schienen sich plötzlich enger um Milla zu schließen.
Sie konnte spüren, wie sich etwas zusammenbraute, etwas Dunkles, schwer zu Greifendes, das ihr Angst einflößte. Wieder hatte sie den Brief ihres Vaters vor Augen und glaubte, wie vergangene Nacht, sein federleichtes Gewicht auf der Brust zu spüren. Die verblassten Zeilen waren wie eingebrannt in ihrem Herzen, doch was sie ihr sagen sollten, verstand Milla bis heute nicht. Vielleicht hätte Ysa ihr die Augen öffnen können. Doch der richtige Zeitpunkt, der Tante ihr Geheimnis zu offenbaren, war längst verstrichen.
»Wo sollen wir denn noch suchen?«, fragte sie.
»Wenn ich das nur wüsste!«, rief Ysa. »Ich war fest davon überzeugt, die gläserne Gondel müsse noch irgendwo auf Murano sein. In eurem Haus oder Leandros Glashütte, irgendwo, wo mein Bruder sie ohne Schwierigkeit verstecken konnte. Aber wir haben ja weder in deinem Zimmer noch in der Werkstatt etwas gefunden.«
»Im Garten vielleicht?«, wandte Milla ein. »Dort haben wir noch nicht nachgesehen. Vielleicht hat er sie ja vergraben.«
»In der Erde zu buddeln, hätte Leandro niemals gelegen.«
»Einen Versuch wäre es trotzdem wert«, beharrte Milla. »Vielleicht hat ihn etwas beunruhigt oder misstrauisch gemacht. Und er brauchte ganz schnell ein neues Versteck.«
»Du denkst wie er!« Ysa lächelte kurz. »Das würde Leandro gefallen.« Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Ich bin überzeugt, das haben bereits andere vor uns besorgt. Doch offenbar ohne Erfolg. Sonst müssten sie mich ja nicht mehr belästigen.«
Sie ging zur Tür.
»Wenn ich jetzt nicht bald auf den Markt komme, werden unsere Gäste heute vor leeren Tellern sitzen«, sagte sie. »Und deine Mutter schöpft Verdacht.«
»Weiß sie denn nichts von der Gondel?«
»Soll dieser Salvatore etwas davon erfahren? Savinia ist zurzeit nicht ganz sie selbst, aber das weißt du ja. Und seitdem ihr Galan gestern Abend auch noch mit dieser blauen Seide ankam, die sie in hellstes Entzücken versetzt hat …« Ihr Blick gewann erneut an Schärfe. »Wo hast du dich eigentlich die ganze Zeit herumgetrieben? Ist womöglich dieser Marco daran schuld, und ich sollte meinen guten Eindruck noch einmal überdenken?«
»Jetzt fragst du zu viel«, sagte Milla. »Ich hab nichts getan, was ich bereuen müsste, soviel kann ich dir verraten.«
»Dann ist es ja gut. Ich laufe jetzt los. Und du gehst ins ippocampo und bereitest alles vor. Du weißt ja, was jeden Morgen zu tun ist!«
Milla machte sich auf den Weg zur Taverne, obwohl sie ihre Gedanken kaum beisammenhalten konnte. Überall glaubte sie Luca zu sehen, seinen dunklen Schopf, das graue Wams, das weiße Hemd – aber es war lediglich die eigene Sehnsucht, die ihr diesen Streich spielte. Sie hatte ihn brüskiert, was ihr inzwischen
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