Feuer und Glas - Der Pakt
ich gründlich satt. Wenn du nicht endlich die Wahrheit ausspuckst, ist es besser, wir sehen uns nie wieder!«
Wortlos griff Luca nach dem Ruder.
»Es tut mir leid«, begann er nach einer ganzen Weile, während die Säulen auf der Piazetta immer größer wurden. »Vielleicht hätte ich lieber …«
»Du hast gehört, was ich von dir will«, sagte Milla barsch. »Lass mich schon hier ans Ufer!«
»Pass auf, sonst wirst du noch ins Wasser fallen!«
»Zerbrich dir nicht meinen Kopf!«
Milla sprang mit einem Riesensatz aus der Gondel, noch bevor Luca sie an einem der Pfosten an der Riva degli Schiavoni festmachen konnte, und lief ohne ein Wort des Abschieds durch die abendlichen Gassen zurück ins ippocampo .
Da waren Feuer und Glut, eine Hitze, die sie kaum ertragen konnte, dazu Nebelschwaden, die alles unwirklich erscheinen ließen. Große Hände hielten behutsam ein Gebilde aus Glas, in dem sich alle Farben vereinten, bis es durchsichtig war wie Kristall. Die schlanke, längliche Form ließ eine vertraute Saite in ihr erklingen.
Sie wusste es. Sie hatte es immer gewusst!
Von irgendwoher kam die Stimme ihres Vaters.
»In deine Hände lege ich unsere Zukunft. Du musst klug sein, mein Mädchen, sehr, sehr klug!«
»Wo bist du?«, flüsterte sie tränenblind. »Warum kommst du nicht endlich zurück?«
»Ich bin bei dir … immer … du musst dich nur erinnern … Der Brief, Milla, der Brief …«
Sie schoss nach oben, wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie war. Als sich ihr Herzschlag langsam beruhigte, erkannte Milla im Mondlicht die vertrauten Umrisse: das Bett, die Truhe, den Hocker, über den sie ihre Kleider geworfen hatte.
Ihr Gesicht glühte, die Kehle war staubtrocken.
Sie griff nach dem Wasserkrug neben dem Bett, setzte ihn an und leerte ihn bis zur Neige. Danach ließ sie sich auf das Bett zurücksinken.
Ysa war auf der richtigen Fährte gewesen.
Ihr Vater hatte ihr etwas geschenkt, einige Tage, bevor er verschwunden war, doch damals hatte sie nur wenig damit anfangen können. Zum Spielen erschien es ihr zu wertvoll, und es war nichts, was sich ein elfjähriges Mädchen um den Hals hängen oder ins Haar stecken konnte. Unentschlossen hatte sie es in ihr Schatzkästchen gelegt und dort vergessen.
Mit einem Mal stand es Milla so deutlich vor Augen, als sei es erst gestern gewesen: eine gläserne Gondel, die in eine Hand passte, zerbrechlich und stabil zugleich, perfektes Abbild jener großen Gondeln, die die Kanäle befuhren – und in der letzten Nacht gebrannt hatten.
Aber wo war sie hingekommen? Was war seitdem mit ihr geschehen?
Milla hatte nicht die geringste Ahnung.
Am liebsten hätte sie Ysa, die nebenan schlief, auf der Stelle geweckt, um sie danach zu fragen, aber das musste bis morgen warten. Stattdessen stand sie auf, ging zur Truhe und begann zuunterst zu kramen.
Schließlich fand Milla, wonach sie gesucht hatte.
Zum Lesen war es noch zu dunkel, doch sie hatte diese Zeilen so oft in sich eingesogen, dass sie ihr beim Berühren des Pergaments sofort wieder einfielen. Verstehen allerdings konnte sie sie noch immer nicht.
Täuschte sie sich, oder hatte Luca heute nicht ganz etwas Ähnliches gesagt, über Feuer und Wasser, die im Gleichgewicht sein mussten, damit Frieden herrschte?
Ob ein weiterer Traum ihr die Antworten auf all ihre Fragen schenken würde?
Milla legte sich zurück aufs Bett, den Brief auf ihrer Brust. Schließlich gewann die Müdigkeit. Ihr Atem ging gleichmäßig.
Sie war eingeschlafen.
Viertes Kapitel
Milla presste das Ohr noch fester gegen die Wand.
Nebenan unterhielten sich Mutter und Tante, aber es war zu leise, um etwas zu verstehen. Dann hörte sie, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel. Sie lief aus ihrem Zimmer und konnte Ysa gerade noch aufhalten, die schon den Korb über dem Arm hatte, um auf dem Markt zu den ersten Kunden zu gehören.
»Warte«, rief sie. »Sein Geschenk an mich war eine gläserne Gondel, so klein, dass sie in seine Hand gepasst hat.«
Ysas dunkle Augen schienen sie regelrecht zu durchbohren.
»Das hat Leandro dir gegeben?«
»Ja«, bekräftigte Milla. »Das vollkommene Abbild einer großen Gondel. Durchsichtig wie ein Kristall!«
»Durchsichtig, sagst du?« Ysas Hals war mit einem Mal rötlich gefleckt, was ihre Aufregung verriet. »Und du bist dir ganz sicher? Aber wo ist sie jetzt?«
»Auf jeden Fall nicht mehr in meinem Schatzkästchen«, sagte Milla. »Obwohl ich sie dort selbst hineingelegt habe. Auch daran kann ich
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