Feuer und Glas - Der Pakt
angelangt.
»Wir sind ja schon bei San Marco«, rief Milla überrascht.
»Siehst du die beiden Säulen auf der Piazetta?«, fragte Luca.
»Wollen wir nicht lieber über das reden, was gestern geschehen ist?«, sagte sie, weil seine Frage ihr so belanglos erschien.
Er gab einen seltsamen Laut von sich und ließ das Ruder ruhen. Milla drehte sich zu ihm um.
»Viele beachten nur die Säule mit dem geflügelten Feuerlöwen, der zum Symbol unserer Stadt geworden ist«, sagte Luca. »Doch der Mann auf dem Krokodil, der die andere Säule krönt, ist nicht minder wichtig: San Teodoro, der das Wasser verkörpert. Wasser und Feuer müssen im Gleichgewicht sein. Nur dann gibt es Sicherheit und Frieden.«
»Aber wir haben keinen Frieden mehr«, rief Milla. »Als die Gondeln brannten …«
»Das hätten sie niemals tun dürfen!« Er klang gepresst. »Aber sie sind noch zu viel mehr imstande. Weil sie nicht wissen, was dann geschehen kann.«
»Von wem sprichst du?«, fragte Milla.
»Weißt du das wirklich nicht?«, erwiderte Luca. »Du müsstest sie doch am allerbesten kennen!«
»Du meinst die Feuerleute?«, rief sie. »Da irrst du dich. So etwas würde keiner von uns jemals tun!«
Seine Augen wirkten plötzlich uralt.
»Wenn nicht bald etwas geschieht, gibt es kein Zurück mehr«, sagte er leise. »Weder für euch noch für uns.«
»Das hört sich an, als würdest du von Feinden reden«, sagte Milla. »Aber wir leben doch alle hier zusammen in der gleichen Stadt!«
»Gefahr droht von innen und von außen, und ich könnte dir nicht sagen, welche größer ist.«
Milla dachte an die Worte des dicken Händlers.
»Sogar in Venedig werden jetzt Soldaten ausgehoben, das habe ich heute auf dem Markt erfahren«, sagte sie. »Heißt das, dass auch du bald kämpfen musst?«
Luca zog die Schultern hoch, als sei ihm kalt. »Das klingt ja, als hättest du Angst um mich.«
»Musst du?«, wiederholte sie.
»Im Dogenpalast wissen sie, dass wir nicht zum Blutvergießen taugen«, erwiderte er. »Ich kann nur hoffen, dass sie es nicht trotzdem von uns verlangen.«
»Dann wollt ihr das Kämpfen den Feuerleuten überlassen?«, fragte sie.
»Wasserleute kämpfen auch.« Es klang stolz. »Aber auf unsere Weise.«
Die Säulen auf der Piazetta hinter ihnen wurden kleiner, während er die Gondel in die Lagune steuerte. Der Kater saß inzwischen so dicht neben Milla, als wollte er sie beschützen.
»Wohin bringst du mich?«, fragte Milla.
»Zu den Stellnetzen. Um dir den Reichtum des Meeres zu zeigen.«
»Wollen wir nicht lieber erst über die Insel sprechen?« Sie hatte all ihren Mut zusammengenommen. »Jetzt tut dein Kater ganz unschuldig, aber er hat in Marins Werft die Pläne vom Tisch gefegt. Nur deshalb habe ich sie auf der Karte entdeckt – diese Insel zwischen Murano und Burano, wo doch eigentlich nur Wasser ist. Was hat es damit auf sich?«
Luca blieb stumm, ließ aber sein Ruder ruhen.
»Ich muss es wissen!« Milla hätte am liebsten aufgestampft. »Weshalb ruderst du mich nicht dorthin? Dann könnte ich mich mit eigenen Augen überzeugen.«
»Unmöglich!«
»Weshalb? Fehlt dir dazu der Mumm?«
»Du bist ein Feuermädchen. Das muss für den Moment genügen.«
Milla spürte, wie sie zornig wurde.
Hatten sich alle miteinander verschworen, sie wie ein unmündiges Kind zu behandeln und es bei geheimnisvollen Andeutungen zu belassen, die alle ins Leere liefen? Niemand sagte ihr die Wahrheit, nach der sie sich doch so sehr sehnte. Aber sie würde ihnen schon zeigen, mit wem sie es zu tun hatten!
»Ja, ich bin Leandro Cessis Tochter. Und trotzdem hast du mich zu deinem Onkel gebracht. Was wollt ihr von mir?«
»Besser wäre es, wenn du dich wieder hinsetzt, sonst bringst du uns noch zum Kentern.«
»Weißt du, was ich inzwischen glaube? Mein Vater hat auch von dieser Insel gewusst. Ist er deshalb so plötzlich verschwunden?«
Luca streckte seinen Arm aus, als wollte er sie berühren, doch Milla wich zur Seite. Der Kater sprang erschrocken auf und verzog sich zurück auf den Bug.
»Rede!«, rief sie. »Habe ich recht?«
Doch er schwieg beharrlich.
Eine Abendbrise fuhr in sein dunkles Haar. Stolz und nobel sah er aus – und unendlich einsam. Am liebsten hätte sie ihre Stirn an seine kühle Wange gelegt, um seinen Atem auf ihrer Haut zu spüren.
Wenn sie ihn doch nur hätte hassen können!
»Bring mich sofort nach Venedig zurück«, forderte Milla, um nicht doch noch schwach zu werden. »Deine Ausflüchte habe
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