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Feuer und Glas - Der Pakt

Feuer und Glas - Der Pakt

Titel: Feuer und Glas - Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sofort losgestürzt, getrieben von der winzigen Hoffnung, er könnte vielleicht doch noch an der Brücke stehen. Doch welchen Vorwand könnte sie anbringen?
    Milla lehnte sich an die Wand und überlegte fieberhaft.
    »Ich glaube, da hat jemand etwas für dich hinterlassen«, sagte Ysa.
    Milla sah sie fragend an.
    »Ich an deiner Stelle würde nachsehen gehen.«
    Widerwillig gehorchte sie. Auf Marcos Tisch lag eine gelbe Anemone – die zweite.
    Unschlüssig drehte Milla sie in der Hand.
    »Er scheint dich zu mögen«, sagte Ysa, die ihr gefolgt war, beugte sich über die Blume und schnupperte daran. »Wahrscheinlich kommt er jetzt deshalb regelmäßig zum Essen. Mir gefällt er übrigens auch. Er ähnelt ein wenig Leandro, findest du nicht?«
    Versuchte sie jetzt, gut Wetter bei ihr zu machen?
    Milla zuckte die Schultern.
    »Vielleicht wartet er ja draußen«, sagte Ysa. »Er scheint ein junger Mann zu sein, der genau weiß, was er will.«
    »Meinst du?«, entfuhr es Milla, die bei diesen Worten allerdings jemand anderen im Sinn hatte.
    »Lauf schon, Milla.« Die Andeutung eines Lächelns flog über Ysas Gesicht. »Das mit deiner Mutter überlass ruhig mir. Jung ist man schließlich nur einmal!«
    Wohin sie auch schaute, da war keine blaue Gondel zu sehen. In allen nur denkbaren Schattierungen nahmen die anderen ihren Weg durch den Kanal, gerudert von den unterschiedlichsten Männern, ganz so, als hätte es den gestrigen Albtraum überhaupt nicht gegeben.
    Wo waren die verkohlten Gerippe der Vornacht hingekommen? In Marin Donatos Werft, damit er sich um sie kümmerte?
    Luca jedenfalls und sein neugieriger Kater waren nirgendwo zu sehen. Enttäuschung zog Milla die Kehle zusammen.
    Sie war zu spät gekommen!
    Plötzlich hörte sie ein Schnurren, kehlig knisternd. Puntino rieb sich an ihren Beinen, ein Bild der Hingabe und des Vergnügens.
    »Wo ist er?«, murmelte Milla, als sie sich bückte, um ihn zu streicheln. »Wenn du auftauchst, kann Luca eigentlich auch nicht weit sein.«
    Beim Aufrichten fiel ihr Blick auf graue Beinkleider, dann ein Wams in der gleichen Farbe. Ein weißes Hemd. Schwarze, glatte Haare. Blaugrüne, prüfende Augen in einem ernsten Gesicht, die sie nicht mehr losließen.
    »Ich konnte nicht früher«, murmelte Milla, plötzlich ganz befangen. »Wir hatten so viele …«
    »Komm!« Luca streckte die Hand aus.
    Die Berührung traf sie wie ein Schlag, und dennoch genoss sie abermals, wie kühl und fest sich seine Haut anfühlte. War das wirklich sie, Milla Cessi, die mit dem Gondoliere Luca am helllichten Tag Hand in Hand zum Anlegeplatz spazierte?
    Was, wenn jemand sie sah? Was, wenn jemand sie verpetzte?
    Venedig hat tausend Augen, das hatte Milla von Ysa und Savinia immer wieder eingetrichtert bekommen – und doch war es ihr niemals gleichgültiger gewesen. Als Luca an einem Seitenkanal ihre Hand wieder losließ, war sie enttäuscht. Plötzlich kam ihr alles ganz leer vor.
    »Ich dachte, es sei klüger, hier anzulegen«, sagte er. »Weil ich dir ein anderes Venedig zeigen möchte.«
    Puntino saß bereits auf dem Bug. Als Luca ihr erneut die Hand bot, um ihr das Einsteigen zu erleichtern, spürte Milla, dass sie ganz leicht zitterte, wie auch ihre eigene.
    Sie ließ sich auf die hölzerne Bank sinken, während er losruderte. Ruhig glitt die Gondel den Kanal entlang, unter mehreren Brücken durch, bog in immer noch schmalere, immer noch verschwiegenere Seitenarme ein.
    »Spürst du den Zauber des Wassers?«, fragte Luca. »Seine Macht? Es beherrscht unsere Stadt, auch wenn es lautlos und scheinbar stets geduldig ist.«
    »Alles kommt mir so fremd vor«, rief sie.
    Er lachte. »Je tiefer du eindringst, desto mehr wirst du entdecken.«
    Es war wie eine Welt, in der vertraute Dinge urplötzlich neue Bedeutung gewannen. Der Grünspan an den Pfosten und Mauern, der wie altes Gold schimmerte. Das Kreischen der Möwenschar, die über ihren Köpfen flatterte, und ihnen eine Weile Geleit gab. Die Schatten in den Fenstern, hinter denen womöglich neue Geheimnisse warteten. Selbst die Zeit schien stillzustehen. Es gab nur noch das gleichmäßige Eintauchen des Ruders, Lucas Atem hinter ihr, die Wärme des Katers, der sich auf ihren Füßen eingekringelt hatte.
    »Wohin fahren wir?«, fragte Milla.
    »Das wirst du gleich wissen«, lautete Lucas Antwort.
    Er manövrierte die Gondel einige Male geschickt nach links, die Wasserstraßen wurden breiter, und schließlich waren sie wieder auf dem Canal Grande

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