Feuer und Glas - Der Pakt
erwiderte sie.
»Warum stellst du ihm nicht erst einmal deine anderen Fragen?«, schaltete sich Luca ein.
»Meinetwegen«, sagte Milla. »Wie kann es dann angehen, dass niemand von ihr spricht?«
»Es gibt Mysterien und Geheimnisse. Diese Insel gehört dazu.« Nikos war sehr ernst geworden.
»Wie kann man eine Insel geheim halten?«, begehrte Milla auf. »Tag für Tag sind Boote in der Lagune unterwegs. All diese Schiffer und Seeleute müssten sie doch kennen!«
»Einige wenige tun das, aber die meisten wissen nichts über sie«, sagte Luca.
Milla spürte, wie sie allmählich ungehalten wurde.
»Ein Mensch kann sich verstecken, aber wie in aller Welt sollte eine namenlose Insel das anstellen?«, fragte sie spitz.
»Im Herbst und Winter sieht sie aus wie zäher Nebel, der sich in dicken Schwaden zusammenballt«, erwiderte Nikos. »Und im Sommer könnte man denken, sie wäre …«
»… abgetaucht?« Milla schüttelte den Kopf. »Hört auf, euch über mich lustig zu machen! Ich stamme aus Murano. Ich kenne die Lagune.«
»Im Sommer vereinen sich Wasser und Licht; alles beginnt zu flimmern, bis die Umrisse verschwinden und man nicht mehr weiß, was man sieht, oder ob man überhaupt etwas sieht. Der beste Schutzschild, den man sich vorstellen kann!«, sagte Nikos. »Über Jahrhunderte hat er unerwünschte Eindringlinge erfolgreich abgewehrt.«
»Außerdem hat sie natürlich einen Namen«, sagte Luca. »Doch der muss ebenso geheim bleiben wie ihre Existenz.«
Milla schaute von einem zum anderen.
»Und wieso läuft dort kein Boot auf?« Ihre Stimme klang belegt.
»Kluge Frage, Milla«, sagte Nikos. »Man merkt, dass du ein Kind der Lagune bist! Auf allen Seekarten ist jene Stelle als gefährliche Untiefe gekennzeichnet. Kein Schiff würde jemals freiwillig diese Route wählen. Alle nehmen einen Umweg, und sogar als es noch keine Karten gab, wurde dieses Wissen von Mund zu Mund weitergegeben.« Er streckte sich und seufzte tief. »Jetzt habe ich dir schon mehr verraten, als ich eigentlich sollte! Ich kann nur hoffen, du verschließt alles, was du soeben gehört hast, tief in deinem Herzen.«
Sie nickte, war aber immer noch nicht überzeugt. Je mehr sie zu hören bekam, desto verwirrter fühlte sie sich.
»Als Gegenleistung möchte ich dich um einen Gefallen bitten«, fuhr Nikos fort.
Milla wurde immer unbehaglicher zumute.
»Hat dieser Gefallen etwas mit den brennenden Gondeln auf dem Canal Grande zu tun?«, fragte sie. »Denn danach wollte ich euch eigentlich fragen!«
Nikos schien um die richtigen Worte zu ringen.
»Wasser und Feuer sind aus dem Gleichgewicht geraten«, begann er schließlich. »Schon seit Langem.« Er hielt inne, als müsste er neu überlegen.
»Gestern in der Gondel hast du von Wasser und Feuer gesprochen, die sich ausgleichen müssen, damit Frieden herrschen kann«, sagte Milla rasch, jetzt ausschließlich an Luca gewandt, und musste dabei wieder an den Brief ihres Vaters denken. »Aber wenn …
»… sie gegeneinander kämpfen, dann lässt Feuer Wasser verdampfen, und Wasser löscht Feuer aus«, sagte Nikos. »Dann gibt es kein friedliches Miteinander mehr, sondern Krieg, so wie jetzt! Und alles geht zugrunde.«
»Wer hat dieses Gleichgewicht denn zerstört?«, fragte Milla weiter.
Der Geruch im Bootshaus war stärker geworden. Und schwankten nicht auch die Gondeln, als blase ein starker Wind?
»Das ist eine lange Geschichte.« Ächzend erhob sich Nikos. »Venedig hat zu viele falsche Entscheidungen getroffen. Der geflügelte Löwe brüllt zu laut – und bringt damit alle in Gefahr. Wir dürfen nicht länger abwarten, sondern müssen handeln, damit es nicht zur Katastrophe kommt.« Seine Hand fuhr über sein breites Gesicht. »Häuser, die plötzlich ins Wasser stürzen. Menschen, die dabei ums Leben kommen. Eine ganze Stadt, überrollt von zornigen Wellen.«
Jetzt stand er vor ihr, massiv und groß wie ein Berg.
»Du kannst uns helfen, Milla, damit es nicht dazu kommt. Du musst es tun!«
»Ich?«
»Dein Vater hat etwas in seinem Besitz, das uns gehört.« Auf einmal senkte Nikos die Stimme, als könnte ihn jemand belauschen. »Hat er es an dich weitergereicht? Dann gib es uns zurück!«
Sie wusste sofort, was er meinte. Die gläserne Gondel – darum ging es!
Hilfesuchend schaute Milla zu Luca.
Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert, älter sah er plötzlich aus, verschlossen und so fremd, dass sie unwillkürlich zu frösteln begann. Was wusste sie eigentlich von
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