Feuer und Glas - Der Pakt
doch keiner wagte zu fragen oder etwas zu sagen.
Schließlich gelangten sie an einen breiten Kanal. Da lag er, der Bucentauro – mit all seinen Masten und Rudern, eine bunt bemalte, mit goldenen Figuren geschmückte Galeere, die im Sonnenlicht leuchtete!
Beinahe wäre ihr ein überraschter Laut entschlüpft, doch Milla presste gerade noch rechtzeitig die Lippen aufeinander. Sie sollten nicht wissen, dass sie sehen konnte. Wer wusste schon, welch neue Schikanen sie sich sonst noch ausdachten!
Die beiden führten sie über eine hölzerne Brücke. Dann waren sie vor einem großen Tor angelangt. Federico löste Millas Augenbinde, während Paolo umständlich aufzusperren begann.
»Du kannst jetzt gehen, Milla«, sagte er. »Und noch ein freundschaftlicher Rat, den ich dir mit auf den Weg geben möchte: Dass du den Mund hältst über das, was hier geschehen ist, liegt in deinem eigenen Interesse. Denn vergiss niemals: Die Augen und Ohren des Admirals sind überall!«
Jetzt rannte sie, obwohl ihre Beine noch immer leicht zitterten. Doch Milla wollte nur eines: endlich zu Hause sein! Als sie das Holz der Rialtobrücke unter sich spürte, wurden ihre Augen feucht, als würde sie sich erst jetzt diese Schwäche erlauben können.
Sollte sie gleich ins ippocampo gehen?
Milla zögerte kurz, lief dann aber doch zuerst zur Wohnung. Als sie ankam, musste sie feststellen, dass Messèr Cassiano ihr vor der Tür den Weg verstellte.
»Ich hab es gründlich satt, das kannst du Tante und Mutter ausrichten!«, keifte er. Sein säuerlicher Mundgeruch traf Milla wie ein Hieb. »Was bilden die beiden sich ein, meine berechtigten Forderungen einfach zu ignorieren? Wenn nicht spätestens bis zum Fest von San Marco alles bezahlt ist, fliegt ihr!«
Er hätte ihr kein besseres Stichwort liefern können!
Wortlos schob Milla ihn zur Seite, was ihm ein ungehaltenes Grunzen entlockte, und rannte die Treppe nach oben. Zu ihrer Verblüffung war die Wohnungstür nur angelehnt.
Für einen Augenblick wurde ihr ganz flau im Magen.
Hatte der Admiral etwa schon Schergen ausgesandt, um seine Drohungen wahr zu machen?
»Mama?«, rief sie angstvoll. »Tante Ysa – seid ihr da?«
»Das will ich meinen!« Ysa kam ihr mit grimmigem Gesicht entgegen. »Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«
Milla öffnete den Mund, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Du hast recht gehabt, hätte sie am liebsten gerufen. Diese Wasserleute sind genauso hinterhältig und verschlagen, wie du sie beschrieben hast – aber weißt du was? Unsere Feuerleute sind auch keinen Deut besser!
Stattdessen zog sie die Schultern nach oben und machte ein bittendes Gesicht.
»Es tut mir leid«, murmelte sie. »Ich habe einen Fehler begangen.«
»Allerdings!«, rief Ysa. »Ich dachte immer, uns beide verbinde etwas ganz Besonderes. Dabei gehst du hin und lässt dich hinter meinem Rücken nach Murano rudern – von einem der Wasserleute! Du hast mich schwer enttäuscht, Milla. Ich hätte dich für reifer gehalten, für vernünftiger. Hast du denn gar nichts von dem begriffen, was ich dir gesagt habe? Ab heute wird zwischen uns alles anders sein, darauf kannst du dich verlassen!«
»Er war da, als ich ihn brauchte«, versuchte Milla zu erklären. »In jener Nacht, als ich …« Sie brach ab.
Ysa hatte sich abgewandt, als könnte oder wollte sie ihren Anblick nicht länger ertragen.
»Wo ist die gläserne Gondel?«, fragte sie. »Du hast sie ihm doch nicht etwa gegeben?«
»Da war keine Gondel!«, versicherte Milla. »Wir haben bei der Schaukel gegraben, weil ich mich plötzlich erinnerte, Vater nachts dort gesehen zu haben. Aber …«
»Wir? Das hast du einem von ihnen anvertraut – und nicht mir?« Ysas Stimme klang brüchig. »Weißt du überhaupt noch, wohin du gehörst? Wir Feuerleute haben seit je zusammengehalten. Aber das scheint für dich ja nicht mehr zu gelten!«
Milla hatte plötzlich wieder das Gesicht des Admirals vor sich, jene harten Linien, die kalten, unbarmherzigen Augen. Du verlierst alles, was dir lieb und teuer ist – sie brachte es nicht über sich, Ysa damit zu belasten.
»Ich will ja alles wiedergutmachen«, rief sie. »Du kannst dich auf mich verlassen! Ich weiß jetzt, dass du recht hattest – mit allem. Diese Wasserleute sind unser Vertrauen nicht wert. Aber bitte sei mir nicht mehr böse!«
»So einfach geht das nicht.« Ysa klang nicht, als sei sie zum Nachgeben bereit. »Ich werde dir Gelegenheit geben, um in Ruhe über alles
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