Feuer und Glas - Der Pakt
»Manchmal ist es hellrot. Dann wieder gleißend weiß. Gerade erinnert es mich an die abendliche Sonne, bevor sie in der Lagune versinkt. Es ist so warm, so strahlend, so voller Leben, dass ich am liebsten mit beiden Händen danach greifen möchte.«
Die Fackel hatte er mit der Flamme nach unten in die forcula gezwängt. Es gab nur noch diesen schwachen Schimmer auf dem schwarzen Wasser. Sonst umhüllte Nacht sie wie ein weiches, dunkles Tuch.
»Wieso sagst du so etwas?«, flüsterte Milla zurück.
Ihr Vater hatte manchmal geleuchtet, während er am Glasofen arbeitete, und mehr als alles andere hatte sie sich in solchen Momenten gewünscht, es ihm gleichzutun. Doch niemand hatte sie bisher darauf angesprochen – bis auf diesen seltsamen Lagunenprinzen, der sich nicht aus ihrem Herzen vertreiben ließ, so sehr sie sich auch anstrengte.
»Weil es die Wahrheit ist. Du wolltest doch die Wahrheit hören! Und deshalb musst du jetzt auch gehen, Milla. Lass mich allein! Geh!«
War das wirklich aus Lucas Mund gekommen? Oder war es nicht doch jene hässliche Stimme in Milla gewesen, die sich gelegentlich zu Wort meldete?
Es hat keinen Sinn, flüsterte sie. Hör ihm einfach nicht weiter zu. Glauben kannst du ihm ohnehin nicht, das weißt du ganz genau. Und selbst wenn es wahr wäre, so dürftet ihr doch niemals jene starken Gefühle füreinander hegen …
Milla schüttelte den Kopf, als könnte sie damit die Stimme zum Verstummen bringen. Sie würde sich nicht wieder wegschicken lassen! Und fortrennen wollte sie auch nicht, wenigstens dieses einzige Mal nicht. Sollte die Welle doch heranrollen und sie verschlingen! Nicht einmal vor der Flamme, die unversehens in ihr auflodern konnte, hatte sie auf einmal noch Angst.
Langsam hob sie die Hände und berührte sein Gesicht. Lucas Haut war kühl, als käme er geradewegs aus dem Meer. Sie spürte winzige Bartstoppeln, die längliche Kerbe, die sein Kinn teilte. Ihre Finger fuhren weiter zu den Ohren, die sich anfühlten, als seien sie aus Samt. Milla legte den Kopf in den Nacken und streckte sich ihm entgegen, bis ihr Mund auf seinen traf.
Für einen Augenblick schien ihr Herzschlag auszusetzen, dann jedoch spürte sie ihn im ganzen Körper. Als Luca ihre Lippen behutsam öffnete, kehrten Feuer und Wasser zurück, doch dieses Mal nicht als Feinde, sondern verbunden in einem langsamen Tanz, der Milla schwindelig machte. Das Holz unter ihren Füßen schien sich zu verwandeln, wurde weich wie Sand, in dem sie beinahe versank.
Plötzlich begann es auf ihrer Brust zu brennen – lichterloh.
Dass es Lucas Hand war, die sich frech in ihr Mieder gestohlen hatte und dort diese Hitze entfachte, spürte sie erst, als sie das Pergament auf ihrer Haut knistern hörte.
Unwillkürlich trat Milla einen Schritt zurück, doch seine Hand hatte bereits zugepackt und ließ ihr Beutestück nicht mehr los.
Geschmeidig wich Luca aus, als sie es ihm entreißen wollte.
»Was hast du da versteckt?«, rief er. »Guter Platz, muss ich schon sagen!«
Was bildete er sich ein – die Nähe, die sie soeben noch empfunden hatte, derart schamlos auszunutzen!
»Gib meinen Brief sofort wieder her!«, rief sie wütend. »Du hast kein Recht …«
»Ein Brief also!« Er griff nach seiner Fackel. »Dann wollen wir mal sehen, wer dir geschrieben hat!«
»Luca!« Jetzt schrie sie. »Wenn du das tust …«
Er hielt das Pergament so weit nach oben, dass Milla es nicht erreichen konnte, während die Fackel unstetes Licht verbreitete.
»Der Schlüssel aus Feuer und Glas steckt in dem Schloss, in das er gehört …« Luca hielt inne. »Vom wem ist das?«
Milla presste die Lippen zusammen.
»… nur Feuer und Wasser gemeinsam ergeben ein Ganzes.« Die dunklen Haare fielen in sein Gesicht, ließen es noch schmaler und ernster erscheinen. »Unter ihrem Schutzschild findest du Leben.« Seine Augen waren eindringlich auf sie gerichtet. »Woher hast du das?«
»Hör auf«, flüsterte sie. »Von mir wirst du kein Wort erfahren!«
Unbeirrt las Luca weiter: »Zeige niemandem diese Zeilen, sondern bewahre sie in deinem Herzen, Milla – und handle, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist!«
Er starrte auf das Pergament, dann sah er erneut Milla an.
»Der Feuerkopf?«, sagte er. »Der Feuerkopf! Das hat dein Vater Leandro verfasst.«
In Millas Augen glitzerten Tränen.
»So lange habe ich diesen Brief als meinen größten Schatz gehütet. Aber du musstest ihn mir ja stehlen …«
»Es geht um die gläserne
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