Feuer und Glas - Der Pakt
in wahrhaft gefährlichen Zeiten! Wer da einen Fehler begeht, riskiert viel, sehr, sehr viel …« Erneut tippte er auf die Karte. »Murano dürfen wir natürlich ebenso wenig außer Acht lassen. Niemals darf unsere Glasinsel in feindliche Hände geraten!«
Marcos Kehle wurde eng.
»Habt Ihr etwas mit dem Verschwinden von Ysa zu tun, Exzellenz?«, fragte er leise. »Ich weiß, es steht mir nicht zu, Euch das zu fragen. Aber für mich wäre es wichtig, das zu wissen!«
Ein kurzes Knurren, mehr war zunächst nicht zu hören.
Als sich der Admiral nach einer Weile zu einer Antwort bequemte, klang seine Stimme rostig vor Ärger.
»Meine Methoden haben dich nicht zu interessieren, Bellino«, sagte er. »Muss ich dir das wirklich sagen? Sie taugen nur für Starke. Und davon bist du leider weiter entfernt denn je.«
»Milla Cessi wird nichts von dem tun, was Ihr von ihr verlangt habt, solange ihre Tante nicht frei ist«, sagte Marco. »Das hat sie mir gesagt.«
Ein bellendes Lachen, das rasch wieder erstarb.
»Solange sie noch reden können, sagen sie so manches«, murmelte der Admiral. »Was aber, Bellino, wenn das Wasser im Verlies steigt und die Ratten sich in Scharen zeigen? Dann werden sie alle stumm.«
Eine Nacht, ein Tag, eine Nacht.
Tausendmal hatte Milla zurück zur Werft laufen wollen und nach Ysa fragen – und es doch nicht getan. Ihr war sogar das Haus am Rio Paradiso in den Sinn gekommen – aber was würde sie dort schon erfahren? Wie weit die Hochzeitsvorbereitungen für Luca und Alisar gediehen waren. Dass keiner wusste, wovon sie überhaupt sprach.
Sollten sie etwas mit Ysas Verschwinden zu tun haben, würden sie es ihr nicht verraten, so viel war gewiss.
Was konnte sie tun, um die Tante zurückzubringen?
Mit Savinia war nicht zu rechnen, das war Milla rasch klar geworden. Die jammerte und litt, versalzte ihre Suppen, so bedrückt war sie, und hatte sich sogar ein Messer in den Daumen gerammt, weil sie ständig an Ysa denken musste und fast umkam vor Sorge.
Inzwischen war Milla froh, sie nicht weiter belastet zu haben, weder mit den Ereignissen im Arsenal, noch mit Marcos seltsamen Enthüllungen. Allerdings verfolgten die kalten Augen des Admirals sie mittlerweile Tag und Nacht. Was immer sie tat oder sagte – sie waren bei ihr, unbarmherzig wie das Pendel einer Räderuhr, das sich von nichts und niemandem anhalten ließ.
Was würde geschehen, wenn sie ihm beim morgigen Fest von San Marco die Gondel nicht übergab? Entgegen dem Rat ihres Vaters, sträubte sich Millas Fantasie dagegen, es sich weiter auszumalen.
Sie musste einen Weg finden, um eine weitere Frist herauszuschinden. Doch die Zeit lief gegen sie. Ganz Venedig redete von der bevorstehenden Schlacht, von der noch niemand wusste, wo genau sie überhaupt stattfinden sollte. Von Bergamo redeten die einen, von Milano die anderen, von Cremona die nächsten. Eines jedoch stand fest: Alle Feinde Venedigs hatten sich dort versammelt, um das eilig aufgestellte Heer der Serenissima vernichtend zu schlagen.
Milla hatte sich auf dem Bett zu einer Kugel zusammengerollt, doch obwohl ihre Lider schwer von Müdigkeit waren, fand sie lange keinen Schlaf. Tausend Bilder schossen durch ihren Kopf: Ysa, die gefesselt auf einer Pritsche hockte. Marco, der sie um Hilfe anflehte. Luca, der den Brief aus ihrem Mieder riss …
Nur Feuer und Wasser gemeinsam ergeben ein Ganzes …
Diese Zeile des Briefs ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Hier lag der Kern der Botschaft, das spürte Milla.
Warum nur gelang es ihr nicht, ihn endlich zu entschlüsseln?
Irgendwann überfiel sie doch der Schlaf, obwohl sie glaubte, noch immer wach zu sein. Sie lief durch die Stadt, wie so oft in den vergangenen Wochen und Tagen, doch sie erkannte ihr Venedig nicht wieder. Kaum ein Stein war auf dem anderen geblieben, überall Feuer und Asche. Die Kanäle waren nicht länger die Lebensadern, sondern verstopft von leblosen Körpern.
Die ganze Stadt glich einem riesigen Grab.
Was war geschehen?
Als sie über die Piazetta lief, wuchs ihre Verzweiflung. Links und rechts von ihr erhoben sich die vertrauten Säulen, doch auch an deren Fuß lagen Berge versengter Leichen. Als sie San Marco erreichte, fasste sie eine winzige Hoffnung.
Die Kathedrale stand offen. Milla stolperte hinein.
Obwohl sie ihr von zahlreichen Besuchen vertraut war, war es, als betrete Milla das Gotteshaus zum allerersten Mal. Der Grundriss war ein griechisches Kreuz, das hatte Savinia ihr erklärt, weil
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