Feuer und Glas - Der Pakt
der Apostel, dem sie geweiht war, als Vermittler zwischen Ost und West galt.
Nur Feuer und Wasser gemeinsam ergeben ein Ganzes. Unter ihrem Schutzschild findest du Leben …
Die Sätze ihres Vaters trieben sie unaufhörlich weiter. Milla hatte kein Auge für die Mosaike auf dem Boden, kein Auge für die der Kuppeln. Sie lief und lief und ruhte nicht eher, bis sie vor dem alten Marienaltar stand.
Auf dem Altartuch stand etwas, das sie bereits viele Male gesehen, aber noch nie bewusst betrachtet hatte. Doch wieso gelang es ihr nicht, näher heranzukommen und es zu berühren?
Plötzlich hatte sie das Gefühl, Kieselsteine prasselten gegen ihre Stirn …
Milla fuhr auf, wusste zunächst nicht, wo sie war. Dann sah sie im Dämmerlicht des nahenden Tages einen weißen und einen schwarzen Stein mitten im Zimmer liegen.
Wer hatte sie durch das Fenster geworfen?
Es gab sehr wohl eine Ahnung, die Milla beschlich – aber entsprang diese nicht jener Sehnsucht, die sie nicht mehr losließ?
Sie schlüpfte in ihre Kleider und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare – zu mehr war jetzt keine Zeit.
Auf einmal wusste Milla ganz genau, wohin sie wollte.
Die Gasse vor dem Haus war leer. Doch sie war erst ein paar Schritte weit gekommen, als sie merkte, dass jemand ihr folgte. Wer es auch war, er stellte es äußerst geschickt an, denn sobald sie sich umdrehte, war niemand zu sehen. Kaum jedoch setzte sie sich erneut in Bewegung, hörte sie wieder die leisen Schritte.
Als sie die Rialtobrücke überquert hatte, blieb Milla abrupt stehen. Hier gab es keine schützende Hauswand, mit der ihr Verfolger verschmelzen konnte. Er zögerte ebenfalls, in einen dunklen Umhang gehüllt, den Kopf von der Kapuze bedeckt.
Marco?
Der Admiral hatte ihm befohlen, ihr überallhin zu folgen. Doch dieser Schatten war größer und schlanker …
»Luca?«, fragte sie, während ihr Herz heftig schlug, wie immer, wenn sie ihn sah. »Was machst du hier?«
»Ich sorge für deinen Schutz«, sagte er. »Und den wirst du heute dringender brauchen denn je.«
»Woher willst du wissen, wohin ich gehe?«, fragte Milla, während er die Kapuze zurückschlug. »Kannst du jetzt schon in meinen Träumen herumspazieren?«
»Nur Feuer und Wasser gemeinsam ergeben ein Ganzes«, erwiderte Luca. »Ja, ich bin in deinen Träumen. So wie du in meinen.« Für einen Augenblick schimmerte zartblaues Licht um ihn. Dann war es wieder verschwunden. »Wir sollten uns beeilen. Bald wird der Festgottesdienst in San Marco beginnen!«
Achtes Kapitel
Zu wissen, dass Luca hinter ihr war, trieb Milla schneller voran als sonst, während unzählige Fragen in ihrem Kopf kreisten. Die Stadt schlief noch, als sie durch die Gassen liefen, wenngleich hie und da schon erste Fensterläden aufgestoßen wurden oder jemand verstohlen den Inhalt seines Nachtgeschirrs in einen Kanal leerte.
Vor einer Bäckerei, aus der es nach frischem Brot duftete, blieb sie abrupt stehen und fixierte ihn.
»Wo ist Ysa? Und lüg mich jetzt bloß nicht an! Solltet ihr Wasserleute etwas mit dem Verschwinden meiner Tante zu haben, dann …«
»Was redest du da?«, rief Luca. »Sie ist verschwunden?«
»Man muss sie entführt haben, da sind meine Mutter und ich sicher. Denn freiwillig würde Ysa niemals tagelang wegbleiben, ohne uns eine Nachricht zu hinterlassen.«
»Die einzige Schwester des Feuerkopfs!«, rief Luca kopfschüttelnd. »Natürlich haben wir nichts damit zu tun. Aber ich kann mir schon vorstellen, wer zu solchen Mitteln fähig ist.«
»Anderen die Schuld zuzuschieben, ist immer das Einfachste. Wenn du das jetzt nur behauptest, um von euch abzulenken …«
Luca kam ihr so nah, dass ihre Körper sich fast berührten. Milla musste plötzlich schneller atmen, um noch Luft zu bekommen.
»Wäre ich dann hier?«, fragte er leise. »Den Weg nach San Marco finde ich auch allein!«
Sie glaubte ihm, trotz allem, was vorgefallen war, das wurde ihr zu ihrer eigenen Überraschung bewusst. Aber leicht würde sie es ihm trotzdem nicht machen. Die Hochzeit mit Alisar stand zwischen ihnen – und vieles andere mehr. Dass Luca in der Dämmerung auf sie gewartet hatte, änderte daran auch nichts.
»Bei dir kann man niemals sicher sein, woran man ist!« Milla hatte sich erneut in Bewegung gesetzt. Den unebenen Boden unter den Sohlen zu spüren, machte es ihr einfacher, diese schier unerträgliche Spannung auszuhalten, die sich jedes Mal zwischen ihnen aufbaute. »Bei unserem letzten Zusammentreffen
Weitere Kostenlose Bücher