Feuer und Glas - Der Pakt
habe ich doch!« Seine Stimme klang unbeeindruckt, doch Lucas angespannter Gesichtsausdruck verriet, wie sehr ihm daran lag, auf der richtigen Spur zu sein. »Vor Jahrhunderten hat man ihn als Märtyrer hingerichtet, weil Teodoro einen heidnischen Tempel in Flammen aufgehen ließ, um für seinen christlichen Glauben zu kämpfen. Er wurde zum Schutzheiligen Venedigs und speziell der Wasserleute, obwohl er nur einfacher Soldat war, lange bevor man die Gebeine des Evangelisten hierher brachte. Wo sich heute der Marcusdom erhebt, stand einst seine Kirche.« Luca suchte ihren Blick. »Ich bin sicher, das hat der Feuerkopf auch gewusst!«
Zweifelnd sah Milla ihn an, dann schüttelte sie den Kopf.
»Und wenn schon«, rief sie. »Mein Vater würde niemals so weit gehen, die Ruhe eines Heiligen zu entweihen!«
»Er könnte in Not gehandelt haben«, beharrte Luca. »Außerdem musste Leandro Cessi ja lediglich etwas dazulegen. Und ein ausgesprochen gutes Versteck wäre es allemal. Der Schlüssel aus Feuer und Sand …«
»Ich weiß, was mein Vater mir geschrieben hat«, fiel Milla ihm ins Wort. »Aber weshalb kommst du ausgerechnet auf dieses Reliquiar?«
Lucas Lagunenaugen schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu dringen.
» Nur Feuer und Wasser gemeinsam ergeben ein Ganzes! Die Gondel bei den Gebeinen des alten Wasserheiligen zu verstecken – das würde Sinn ergeben.«
Milla starrte auf das seltsam geformte Gefäß.
»Ich kann das nicht«, murmelte sie. »Die Menschen knien davor, um zu beten. Und ich soll …«
Luca trat einen Schritt nach vorn, streckte die Hand aus und holte es herunter.
»Tu es, Milla«, sagte er mit fester Stimme.
Millas Hände zitterten, als sie das Reliquiar entgegennahm. Um ein Haar hätte sie es fallen lassen, so aufgeregt war sie auf einmal.
Inzwischen redet er schon wie Marin, dachte sie noch, dann jedoch überrollte sie eine Mischung aus Neugier und Scheu, wobei die Neugier schließlich überwog.
Das Reliquiar ragte über die Handfläche hinaus, aber es war leichter als in ihrer Vorstellung, vermutlich aus Holz geschnitzt und erst danach mit einer Goldschicht überzogen worden.
Luca nickte ihr aufmunternd zu.
Zunächst suchte Milla vergeblich nach einer Art Verschluss. Dann jedoch erkannte sie, dass es offenbar unverschlossen war. Ihre Hand berührte den Deckel, schob ihn langsam nach oben.
Innen war das Holz unbehandelt und im Lauf der Jahrhunderte offenbar stark nachgedunkelt.
Milla spähte tiefer hinein. Ihre Enttäuschung war überwältigend.
»Da ist keine Gondel«, flüsterte sie. »Ich sehe lediglich Knochen, durcheinandergewürfelt, als hätte sich jemand daran zu schaffen gemacht. Ich bin nicht einmal sicher, ob sie tatsächlich von einem Menschen stammen, so klein, wie sie mir vorkommen.«
Luca war noch blasser geworden.
»Kein Irrtum möglich?«, fragte er.
»Nein«, versicherte Milla.
Sollte sie auch hineinfassen, um ganz sicherzugehen?
Sie zögerte abermals.
Durfte sie solch ein Sakrileg begehen?
Der Gedanke an ihren verschwundenen Vater gab ihr die Kraft dazu.
Sie griff hinein, schob die Knochen behutsam zur Seite und tastete den Boden des Behältnisses ab. Erst trafen sie nur auf Holz, dann jedoch berührten ihre Finger etwas Schmales, Längliches.
Hart genug, um …
Die verdutzte Miene musste ihre Überraschung überdeutlich widergespiegelt haben, denn auch Lucas Gesicht erstarrte. Alle fünf Glocken des Campanile begannen auf einmal zu läuten, als wollten sie ganz Venedig herbeirufen.
Als Milla ihre Hand öffnete und ihm entgegenhielt, funkelte darauf ein Stückchen durchsichtiges Glas.
Luca stupste es vorsichtig an und berührte dabei ihre Haut, die sich rötete, als sei sie mit Feuer in Berührung gekommen.
»Aber das ist ja ein winziges Ruder!«, rief er.
In diesem Moment brechen die Mauern des Doms auseinander. Sturm kommt auf, der Milla emporhebt. Unter ihr ist Wasser, nichts als Wasser, wütende, aufgepeitschte Wellen der Lagune, die sie ängstigen. Es ist, als hätte sich das flüssige Element gegen sie verschworen, als warte es nur auf ihren Fall, um sie tief bis auf den Grund zu ziehen.
Ihre Augen brennen, als sie endlich wieder Boden unter sich spürt. Milla schaut sich um. Und obwohl sie noch nie zuvor hier war, weiß sie doch, dass sie sich auf jener geheimnisvollen Insel befindet, die sich ganz nach Belieben zeigen und dann wieder verschwinden kann.
Neben ihr im Sand liegt Luca, blass und blutend.
Wer hat ihn verletzt?
Sie beugt
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