Feuer und Glas - Der Pakt
das kleinste Fenster angelehnt – so würde der Kater ungehindert seiner Wege gehen können, sobald er wieder erwacht war.
Den Türknauf hob sie vom Boden auf und steckte ihn zurück an seinen Platz. Danach verschloss sie die Hintertür und legte den Schlüssel tief in den Blumenkasten.
Als sie kurz darauf vom Hof in die schmale Gasse bog, schaute sie vorsichtig nach links und rechts, doch niemand war zu sehen.
Wo war ihr Schatten abgeblieben?
Hatte der Admiral andere, wichtigere Aufgaben für ihn? Oder wusste Marco bereits, wohin sie am Morgen mit Luca gegangen war, und lauerte nur darauf, ihr das Fundstück abzujagen?
Die kurze Erleichterung, nicht verfolgt zu werden, schwand rasch, als sie den Canal Grande in der Sonne glitzern sah.
Denn da kam Salvatore auf sie zu.
Unwillkürlich hielt Milla nach einem Ausweg Ausschau, doch rechts von ihr war Wasser, und links erhoben sich die bunt gestrichenen Holzhäuser von San Polo.
»Wo finde ich Savinia?«, rief er. »In der Taverne?«
Sein kahler Schädel war von Schweißperlen bedeckt, als lägen trotz der morgendlichen Stunde bereits schwere Anstrengungen hinter ihm. Er war nachlässiger gekleidet als sonst, das fiel ihr auf. Sein Wams war fleckig und wirkte ausgebeult, als trage er es sogar zum Schlafen. Von seiner Schulter baumelte ein geflickter Sack, den er bei Millas Anblick nach hinten geschoben hatte, als wollte er ihn vor ihr verbergen.
Milla zuckte die Achseln.
»Sie will dich nicht mehr sehen«, erwiderte sie. »Das hat sie dir doch gesagt. Du warst nichts als ein Irrtum.« Wie gut es tat, ihm das an den Kopf zu werfen! »Außerdem ist das ippocampo geschlossen.«
»Wo ist sie dann?« Sein Tonfall bekam etwas Drohendes. »Wo ist deine Mutter, sag schon? Du wirst es bitter bereuen, wenn du jetzt nicht sofort den Mund aufmachst!«
» Lass sie in Ruhe«, erwiderte Milla scharf. Dass Savinia vermutlich längst auf der Piazza angelangt war, ging ihn nichts an. »Sie hat bereits einen Mann – und zwar den besten der Welt!«
Breitbeinig baute er sich vor ihr auf.
»Kapierst du es denn nicht?«, rief er. »Ich bin eure einzige Rettung, das schreib dir hinter die Ohren. Aber ich werde dir schon noch beibringen, wie man sich einem Salvatore Querini gegenüber benimmt!«
Hatte er faule Eier unter seinem Wams versteckt? Jedenfalls stank er zum Gotterbarmen.
Angewidert verdrehte Milla die Augen.
Dieser schreckliche Kerl sollte endlich für immer aus ihrem Leben verschwinden!
»Lass mich durch«, verlangte sie. »Ich hab es eilig.«
»Du wirst erst antworten!«, schrie er wutentbrannt, und als Milla keinerlei Anstalten machte, seiner Anweisung zu folgen, versetzte er ihr einen kräftigen Stoß.
Seine Faust prallte gegen ihr Brustbein.
Einen Lidschlag lang fühlte sich das Glas unter dem Mieder an wie der giftige Stachel eines Skorpions, dann drehte sich Milla blitzschnell zur Seite, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen.
Doch Salvatore rührte keinen Finger mehr. Wie angewurzelt stand er plötzlich da.
Seine Augen schienen die Höhlen sprengen zu wollen; aus seinem Mund quoll weißlicher Schaum. Einmal nur hatte sie bislang Ähnliches gesehen, bei einem Nachbarskind auf Murano, das an der Heiligen Krankheit litt und von einem heftigen Anfall geplagt wurde. Doch was Salvatore soeben überfallen hatte, war etwas anderes, das wusste sie instinktiv.
War er gerade dabei, den Verstand zu verlieren?
Trotz des sonnigen Morgens überlief es Milla eiskalt.
Das Ruder, dachte sie. Das Ruder der gläsernen Gondel!
Zwei Lagen Stoff trennten ihn davon, und doch war dieser Gedanke als Erstes in ihr aufgestiegen.
Auf jeden Fall musste sie verschwunden sein, bevor Salvatore zur Besinnung kam und sich erneut gegen sie wenden konnte.
Während sie noch überlegte, tauchte hinter Salvatore auf einmal eine Gruppe junger Männer auf, trotz der frühen Stunde offenbar alles andere als nüchtern.
»Komm mit uns, Väterchen!«, rief einer von ihnen, während zwei andere Salvatore in die Mitte nahmen. »Dort, wo wir hinwollen, gibt es noch viel mehr davon!«
Er wehrte sich zwar, sie aber ließen ihn so schnell nicht wieder los.
Milla hielt die Luft an, um sich vor seinen unangenehmen Ausdünstungen zu schützen, und schob sich rasch vorbei.
Noch vor dem Mittagsläuten hatte sich die Piazza immer weiter gefüllt. Inzwischen waren es so viele Menschen geworden, dass man hätte glauben können, ganz Venedig sei auf den Beinen. Alte und Junge, Frauen, Männer und
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