Feuer und Glas - Der Pakt
» Pax tibi Veneziae – Frieden sei mit dir, Venedig, Königin aller Städte! Seit Jahrhunderten beherrschen wir die Meere unter diesem Segen.«
Zaghafter Beifall.
Milla jedoch war alles andere als zum Applaudieren zumute.
Wie konnten sie sich so leicht von ihm lenken lassen? Es waren doch bloß Worte, die er anzuführen hatte!
Auf dem Festland waren die Heere gegeneinander aufmarschiert, und innerhalb der Stadt standen sich Feuer- und Wasserleute unversöhnlicher denn je gegenüber. Wider Willen war sie mitten in diese Auseinandersetzungen geraten.
Was sollte es da nutzen, eine glorreiche Vergangenheit zu beschwören?
Sie dagegen musste handeln – denn ihr waren die Häscher auf den Fersen!
Der Beutel unter ihrem Mieder schien plötzlich zu glühen. Unauffällig schob sie ihn ein Stück zur Seite.
Dann lugte sie wieder zu Marco hinüber.
Er hielt die Augen halb geschlossen, als lauschte er andächtig. Milla jedoch kam es vor, als habe sich der Abstand zwischen ihr und ihm ein ganzes Stück verringert.
Wo waren die beiden anderen abgeblieben?
Sie schaute sich um, so gut es ging, doch Paolo und Federico waren verschwunden.
Weil sie schon dabei waren, sie zu umzingeln?
Schwerfällig erhob sich der Doge. Seine gebieterische Geste hielt die Männer zurück, die schon nach vorn gestürmt waren, um ihm dabei zu helfen.
»Mein Körper mag alt sein, in meinem Herzen jedoch brennt jugendliches Feuer. San Marco schützt uns nicht nur, sondern er ist auch der Hüter der Heiligen Hochzeit. In wenigen Tagen werde ich mich erneut mit dem Meer vermählen. Ein goldener Ring besiegelt wie jedes Jahr unseren Bund.«
Der Applaus wurde stärker. Dieses Fest war der Höhepunkt des Jahres. Groß und Klein fieberten diesem Tag entgegen.
»Mögen unsere Herzen heute auch schwer sein, mit diesem Freudenfest werden wir allen beweisen, warum Venedig weder steinerne Mauern noch hölzerne Bollwerke braucht. Pax tibi Veneziae. San Marcos Segen ist unsterblich!«
Lauter Jubel brandete auf.
Jetzt durfte Milla keine kostbare Zeit mehr verlieren.
»Ich muss weg.« Sie zupfte ihre Mutter am Ärmel. »Solange die Leute noch so eng zusammenstehen, ist es einfacher. Außerdem werden wir ihnen ein Schnippchen schlagen.«
Savinia sah sie erschrocken an.
»Ihnen? Von wem redest du?«
»Von Marco Bellino. Und von Paolo und Federico, zwei Glasbläser aus Murano, die hinter mir her sind.«
»Was wollen diese Männer von dir?«
»Das erkläre ich dir später! Aber sollte einer von ihnen dir zu nahe kommen, dann schrei aus Leibeskräften, damit möglichst viele andere Leute dich hören! Und jetzt geh zur Piazzetta, gemächlich, als sei es ein Sonntagsspaziergang. Ich versuche mein Glück in der entgegengesetzten Richtung.«
»Ist das denn nicht zu gefährlich?« Savinia klang verzweifelt. »Wenn ich jetzt auch noch dich verliere …«
»Das wirst du nicht! Ich passe auf mich auf. Wir sehen uns dann später zu Hause.«
Der Doge verschwand mit seinen Begleitern im Palast.
Verstohlen versicherte sich Milla, dass der Samtbeutel noch immer an Ort und Stelle war.
Dann zog sie den Kopf ein und lief los.
Die Wasserverkäuferin zu beschwatzen, war ein reines Kinderspiel gewesen und um vieles einfacher, als die Tür mit dem Stemmeisen aufzubrechen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Ein paar Kupfermünzen – und schon hatte die Alte ihn zu dem Blumentopf geführt, in dem der Schlüssel für die Hintertür versteckt war.
Plötzlich jedoch war sie misstrauisch geworden.
»Was wollt Ihr eigentlich von Monna Cessi?«, fragte sie. »Sie ist eine gute Frau – und schon so lange allein!«
»Genau das werde ich ändern.« Jedes Wort eine Anstrengung, als ob ihm die Zunge auf einmal nicht richtig gehorchte. Dazu kam der Schweiß, der jetzt in Strömen an ihm hinunterrann. Diese kleine Hexe hatte irgendetwas mit ihm angestellt. Seit er Milla begegnet war, fühlte er sich, als hocke ihm ein Dämon im Nacken.
»Ihr wollt sie heiraten?« Der Mund mit den schadhaften Zähnen klaffte neugierig auf.
»Eine Überraschung«, murmelte er. »Deshalb bin ich hier.«
Als sie mit ihrem Wasserkarren schon weitergerattert war, fiel ihm ein, dass sie ihn verraten könnte.
Doch wer würde solchem Gestammel schon Glauben schenken – von einer, die nach billigem Fusel stank und es offenkundig kaum erwarten konnte, sich neuen zu beschaffen? Notfalls musste er eben ein paar weitere Münzen opfern, und wenn sie aus Silber waren.
Leute wie sie waren einfach
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