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Feuer und Glas - Der Pakt

Feuer und Glas - Der Pakt

Titel: Feuer und Glas - Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Kinder starrten zur Porta della Carta empor, dem steinernen Verbindungsstück zwischen Basilika und Palast. Dort werde sich der Doge zeigen, ging es wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund.
    Jeder wusste, dass Leonardo Loredan betagt war und zudem alles andere als gesund. Ebenfalls war bekannt, wie sehr er große Ansammlungen hasste und dass sogar die alljährliche Vermählung mit dem Meer für ihn eine Anstrengung war, von der er sich stets wochenlang erholen musste. Für seine Launen war er berüchtigt, obwohl früher viele seine Klugheit und Hartnäckigkeit gerühmt hatten. Inzwischen jedoch häuften sich die Klagen über ihn, denn erst unter seiner Führung war Venedig vollends in diese aussichtslose politische Lage geraten.
    Als sich die beiden Zeiger des Uhrenturms auf der Zwölf berührten, die Glocken des Campanile läuteten und die Porta noch immer leer blieb, erhob sich enttäuschtes Murmeln, das rasch zu empörtem Grollen anstieg. Milla, die in der Nähe des Campanile Savinia in der Menge entdeckt und sich bis zu ihr vorgekämpft hatte, beobachtete, wie einige um sie herum die Fäuste ballten.
    »Unsere Kinder hat er verraten und verkauft!«, rief ein Silberkopf in ihrer Nähe. »Seine Söhne werden jedenfalls nicht auf dem Schlachtfeld verbluten!«
    »Sollen wir jetzt nur noch Tang und Salz essen?«, keifte eine Frau. »Unsere Mägen knurren, aber ich wette, seine Tafel ist nach wie vor reich gedeckt!«
    »Zwingt ihn endlich zum Abdanken!«, forderte ein Dritter. »Ein neuer Doge soll seinen Platz einnehmen. Loredan ist nicht länger würdig, Venedig zu regieren!«
    Viele nickten zustimmend, andere redeten aufgeregt auf ihre Nachbarn ein. Tumult lag in der Luft. Es fehlte nur noch der Funke, um ihn zu entzünden.
    Milla überkam plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden.
    Und richtig, dort drüben war Marco, der zu ihr herüberstarrte!
    Ein Stück hinter ihm entdeckte sie Federico und Paolo, die sie ebenfalls finster anglotzten.
    Warteten sie nur darauf, sie in ihre Gewalt zu bringen, um sie erneut ins Arsenal zu schleppen?
    Der Gedanke an den Admiral jagte Milla einen eisigen Schauer über den Rücken.
    Würde er sie zu Ysa sperren, um sie zum Reden zu bringen? Oder hatte er anderes, noch Schlimmeres mit ihr vor?
    Jetzt, inmitten der vielen Leiber, die dicht an dicht standen, war sie sicher. Doch was würde geschehen, wenn sich die Menge erst auflöste?
    Schließlich verklang das Geläut, und im Prunktor, wo sonst die Bittsteller vorzusprechen hatten, erschien der alte Doge, gefolgt von vier Männern in Schwarz. Er war in einen gelben Brokatumhang mit Hermelinbesatz gehüllt, in dessen Stofffülle er fast ertrank. Seinen Kopf bedeckte die Dogenkappe mit dem abgerundeten Horn, abgeleitet von der Mütze, wie die Lagunenfischer sie als Wetterschutz trugen.
    Als er sich umständlich niederkniete, als sei er ebenfalls nichts als ein Bittsteller, erstarben alle Worte. Selbst der Wind schien sich zu legen. Schwer wie ein Gewicht lastete die Stille auf der Piazza.
    Kein Laut war mehr zu hören – bis auf das Greinen eines Säuglings.
    » Pax tibi Marce Evangelista meus «, begann er mit zittriger Stimme. »Friede sei dir, Marcus, mein Evangelist! So begrüßt der Engel den Schutzheiligen unserer Stadt – und voller Demut wiederhole ich diese Worte aus der Tiefe meiner Seele.«
    Seine Rechte wies auf die Figuren über seinem Haupt, wo ein steinerner Doge vor einem geflügelten Löwen kniete.
    »Venedig braucht Frieden, denn nur er gewährleistet Reichtum und Glück. Doch Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, das haben annähernd tausend wechselvolle Jahre uns gelehrt. Manchmal ist es erforderlich, dafür zu kämpfen, auch wenn große Opfer damit verbunden sind.«
    Jetzt breitete er die Arme aus wie ein Prediger, als wollte er jeden der Zuhörer persönlich erreichen.
    »Ich weiß, dass ihr murrt, und kann es euch nicht einmal verübeln. Die Töpfe sind leer, die Weinfässer trocken, und ihr musstet das kostbarste Gut hingeben – eure Söhne, Zukunft und Hoffnung Venedigs. Angst und Schmerz beherrschen euch. Ich aber rufe euch zu: Vergesst die Zuversicht nicht!«
    Die Augen aller hingen an seinen Lippen.
    Millas Hand stahl sich in die ihrer Mutter. Savinia drückte sie fest, bevor sie sie wieder losließ.
    »Selbst eine Liga von Feinden kann Venedig nicht vernichten, denn San Marcos Schutz währt immerdar!« Er klang nicht länger wie ein kranker, alter Mann. Weit trug seine Stimme über den großen Platz.

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