Feuer und Glas - Der Pakt
Schwaden starrte.
»Mädchen!«, murmelte sie und schlug voller Entsetzen die Hand vor den Mund. »Ach, mein Mädchen – hast du das gesehen? Steh uns bei, allergütigste Madonna! Dass meine alten Augen so etwas noch erleben müssen …«
Jetzt erst wandte Milla den Kopf.
Venedigs einzige Brücke über den Canal Grande brannte lichterloh.
Neuntes Kapitel
Wo sich am Morgen noch eine stabile Holzbrücke über das Wasser gespannt hatte, ragten jetzt verkohlte Reste in den Himmel. Nicht besser war es den mehrstöckigen Holzhäusern ergangen. Ihre farbenfrohe Front, die bislang das Ufer von San Polo gesäumt hatte, war niedergebrannt. Die Löscharbeiten gingen allmählich zu Ende, aber noch immer konnten die meisten Bewohner Venedigs nicht fassen, was hier geschehen war.
Als Savinia sie inmitten einer Menschentraube entdeckte und zutiefst erleichtert in die Arme schließen konnte, legte sich Millas Zittern. Seither waren sie immer Seite an Seite geblieben, darauf bedacht, sich bloß nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Sie waren am Leben und unverletzt, allein das zählte.
Andere hatten weniger Glück gehabt.
Der Feiertag hatte die meisten Bewohner aus den Häusern gelockt. Doch einige hatten nicht gehen wollen oder können: Alte, Gebrechliche, Mütter mit Säuglingen, die vom Feuer überrascht worden waren. Noch konnten ihre Leichen nicht geborgen werden, denn in vielen Ruinen schwelten Glutreste. Ungewiss war, ob und was von ihnen zurückgeblieben war.
Viele weinten still. Manche schrien ihren Schmerz, ihre Wut, ihre Verzweiflung heraus. Die kurze Zuversicht, die die Ansprache des Dogen unter der Bevölkerung ausgelöst hatte, war im Feuer verglüht. Der Brand hatte Venedig an seiner Lebensader getroffen. Bis auf Weiteres konnte der Canal Grande nicht mehr zu Fuß, sondern nur noch mit Booten überquert werden.
Es war die Stunde der Gondolieri.
Trotz Rauch und Qualm ruderten sie zwischen den Ufern hin und her, schafften zusätzliche Eimer zum Löschen heran und versorgten die Ausgebrannten mit Essen und Decken.
Luca gehörte dabei zu den Unermüdlichsten. Kopf und Hemd von Aschepartikelchen übersät, stieß er sein Ruder ins Wasser, als kenne er weder Müdigkeit noch Schwäche. Immer wieder sah Milla seine lichtblaue Gondel anlegen und wieder hinübergleiten. Zu ihr allerdings schaute er dabei kein einziges Mal, obwohl sie sich sicher war, dass er sie entdeckt hatte.
Deshalb war es fast eine Erleichterung, als Savinia sie schließlich mit sich zog. Zusammen mit anderen Versprengten fanden sie vorübergehend Zuflucht in der niedrigen Taverne, die in einer Gasse hinter dem Canal Grande lag. Rosaria, die Wirtin, kannten sie von diversen Marktbesuchen, eine junge, rundliche Frau, mit der sie in guten Zeiten ausgiebig über Wucherpreise und mäkelige Gäste gespottet hatten. Rosaria besaß ein gutes Herz und verteilte alles, was sie noch an Brot, Käse und Oliven besaß, an die Ausgehungerten.
Niemand verspürte Lust, viele Worte zu machen.
Milla trank gerade ihren Becher mit verdünntem Wein leer, als erneut die Tür aufging. Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie sah, wer hereinkam und sich nach allen Seiten umschaute. Blitzschnell verschwand sie unter dem Tisch.
»Was machst du da?«, fragte Savinia und bückte sich zu ihr nach unten.
»Marco Bellino«, flüsterte Milla. »Dreh ihm den Rücken zu und rühr dich nicht!«
»Jetzt reicht es mir allmählich! Sag endlich, warum musst du vor ihm und diesen anderen Männern davonlaufen?«
»Sie stehen in Diensten des Admirals.« Millas Stimme klang dumpf. »Ist er wieder weg?«
Savinia drehte sich um.
»Ja. Ich glaube, er hat mich nicht einmal erkannt. Aber was hat meine Tochter mit dem Admiral zu schaffen? Ich will jetzt endlich wissen, was das alles zu bedeuten hat!«
Milla kam wieder nach oben.
»Es geht um etwas, das sie alle haben wollen«, sagte sie leise. »Eine gläserne Gondel.«
Savinia sah plötzlich so verfallen aus, dass Milla erschrak.
»Hört das denn niemals auf? Dein Vater hatte mir versprochen, sie aus dem Haus zu schaffen. Bring sie zum Dogen, hab ich ihn beschworen. Aber Leandro wollte nicht auf mich hören. Zwei Tage später war er verschwunden und ist es bis zum heutigen Tag geblieben.« Ihr Blick bekam etwas Flackerndes. »Hast du jetzt etwa diese Gondel, Milla? Dann musst du sie schleunigst wieder loswerden!«
»Nein.« Milla zögerte. Sollte sie ihr von dem Ruder erzählen, das sie unter ihrem Mieder trug? Sie entschied
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