Feuer und Glas - Der Pakt
strömte, ließ die Lunte kräftiger glimmen – und schneller.
Der Gestank brachte Bewegung in Salvatore.
Er rannte zur Tür – und erstarrte, denn plötzlich hielt er den Knauf in der Hand! Als dieser beim Versuch, den Knauf wieder aufzusetzen, auch noch seinen schweißnassen Fingern entglitt, über den Boden kullerte und unter den Tischen verschwand, zog und zerrte er wie besessen an dem blanken Eisenstück, das ihm entgegenragte. Doch die Tür bewegte sich kein Stück.
Wenn jetzt kein Wunder geschah, würde er binnen Kurzem zusammen mit der Taverne in die Luft fliegen.
Unbarmherzig glühte die Lunte ihrem Ziel entgegen. In seinen Ohren klang ihr Zischen wie Hohngesang.
Gefangen!
Seine Augen waren jetzt überall, doch das Fenster über ihm war viel zu schmal und die Vordertür fest verschlossen. Jeder Hilfeschrei käme jetzt zu spät.
Und wer könnte ihn schon retten?
Bereits jetzt war es, als habe sich das Schwarzpulver tief in seine Haut gefressen.
Es gab kein Wunder. Das war das Ende.
Sein Ende.
»Savinia!«, flüsterte er, schlang die Arme um den Leib und begann zu beten.
Schon vor geraumer Zeit hatte Milla einen lauten Knall gehört, ihm zunächst aber nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt. In ihrem wilden Zickzackkurs über Brücken, durch Gassen und Hinterhöfe wollte sie vor allem ihre Verfolger abhängen.
Was konnte das gewesen sein?
Ein Unwetter, das sich über Venedig entlud?
Ohne ihr Tempo zu verringern, hatte sie immer wieder zum Himmel gespäht, doch der war nach wie vor blau gewesen.
Nun aber zog von Westen her etwas Dunkles auf, das sich unaufhaltsam verbreiterte und bedrohlich wirkte.
Milla lief weiter, erreichte auf Umwegen den Campo Salvador.
Aus dem Kirchenportal kamen ihr zwei aufgeregte Frauen entgegen.
»Es brennt«, riefen sie. »Drüben, in San Polo. Ein ganzes Haus soll in Flammen stehen!«
San Polo – dort lag das ippocampo …
Millas Unruhe wuchs.
Es muss nichts zu sagen haben, versuchte sie sich Mut zuzusprechen. Das sestiere ist groß. Außerdem ist unser Herd heute doch kalt geblieben …
Inzwischen rannte sie.
Nach Marco oder den beiden anderen Verfolgern weiterhin Ausschau zu halten, vergaß sie darüber. Jetzt wollte sie nur noch am Canal Grande sein und endlich wissen, was geschehen war.
»Feuer!«, schrie eine Frau auf einem wackligen Balkon hoch über Milla aufgeregt ihrer Nachbarin zu. »Ich kann es sehen. Die Häuser brennen – alle!«
Hatten sie schon mit dem Löschen begonnen?
Gegen Feuer anzugehen, gehörte zu den Aufgaben der jeweiligen scuola , deren Mitglieder an die Wassereimer mussten, sobald ein Brand ausbrach, was immer wieder geschah. Doch zurzeit waren ihre Reihen stark dezimiert. Viele der jungen Männer waren zum Heer eingezogen worden und warteten fernab der Heimat auf den Beginn der Schlacht, die so vieles entscheiden würde.
Wer sollte ihren Platz einnehmen? Frauen? Greise? Kinder?
Das Herz klopfte Milla bis zum Hals.
Wo mochte ihre Mutter sein?
Sie hatte sie gebeten, Marco und die beiden anderen abzulenken – aber was dann? Savinia war doch nicht etwa von der Piazza aus zur Taverne gegangen, um dort gegen alle Absprachen mit den Vorbereitungen für den morgigen Tag zu beginnen?
Eine zentnerschwere Steinlast schien auf ihre Brust zu sinken.
Immer wieder tastete Millas Hand nach dem Ruder, das unter ihrem Mieder versteckt war, doch es fühlte sich kein bisschen anders an als ein ganz gewöhnliches Stück Glas.
Jetzt nur noch mit großen Schritten quer über den Campo San Bartolomeo, dann hatte sie es beinahe geschafft!
Als Milla endlich atemlos und verschwitzt am Wasser stand, überfiel sie nackte Angst.
Das gegenüberliegende Ufer war in dichten Rauch gehüllt, aus dem immer wieder grelle Flammen in den Himmel züngelten. Beißende Schwaden zogen über den Kanal und ließen Millas Augen tränen.
Wie weit mochte das Feuer reichen?
Bis nach hinten in die schmale Gasse, in der ihre Taverne lag? Oder war es von dort ausgebrochen und hatte sich bis nach vorn gefressen?
Die Steinlast wurde noch drückender, drohte Milla nach unten zu ziehen.
Sie musste so schnell wie möglich nach drüben!
Sie musste wissen, was mit ihrer Mutter war.
Sie musste wissen, ob das ippocampo noch stand.
Sie musste …
Plötzlich schienen die Beine sie nicht mehr tragen zu wollen. Milla blieb nichts anderes übrig, als sich wortlos an die alte Frau zu klammern, die neben ihr aufgetaucht war und ebenfalls fassungslos in die dunklen
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