Feuer und Glas - Der Pakt
»Ihr verlangt Unmögliches von mir!«
»In diesen Zeiten müssen wir alle Unmögliches vollbringen.« Der Admiral kam hinter dem Tisch hervor. Er ging langsam, auf seinen Stock gestützt, als sei jeder Schritt eine Überwindung, und doch ließ sich Milla von dieser zur Schau getragenen Hinfälligkeit nicht einen Augenblick lang täuschen. »Könnte es sein, dass du mit den Feinden paktierst? Bereits dein Vater zeigte dazu gewisse Nei-gung.«
Er musste vom Haus am Rio Paradiso erfahren haben! Oder war es lediglich ein Versuch, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen?
Jetzt kam es auf jedes Wort an, das wusste Milla.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Exzellenz«, erwiderte sie. »Sind es nicht unsere tapferen Soldaten, die gegen die Feinde …«
Seine ledrige Hand fasste unter ihr Kinn und hielt es wie in einem Schraubstock.
»Keine Spiele, Milla Cessi«, sagte er drohend. »Dazu ist die Lage zu ernst. Jene tapferen Soldaten soll die Gondel schützen. Du bist eine von uns. Daher ist es deine verdammte Pflicht, uns zu unterstützen!«
Sie spürte, wie ihr Mut wuchs.
Dass Marco sie unablässig anstarrte, gab ihr weiteren Auftrieb. Mit ihren Worten hatte sie ihn getroffen. Reste von Stolz und Gewissen schien er also durchaus zu besitzen. Stumm hatte er sie zu der Gondel geführt, die an einem Seitenkanal angelegt hatte, und dort mit einem Handzeichen dem wartenden Ruderer bedeutet, abzufahren. Stumm hatte er sie ins Arsenal geführt. Erst auf dem letzten Stück waren ihre Augen wieder verbunden gewesen.
»Mein Vater gehörte auch zu euch«, sagte sie. »Man nannte ihn ›Feuerkopf‹, und ganz Murano war stolz auf seine Kunst, die er wie kein anderer beherrschte. Trotzdem musste er verschwinden. Habt Ihr damit etwas zu tun? Wenn Ihr wisst, wo er ist, dann sagt es mir!«
Der Alte ließ ihr Kinn los und schnaubte verächtlich.
»Du drehst die Dinge um. Das wird dir nicht bekommen. Die Fragen stelle hier ich, verstanden!«
»Ich weiß nichts …«
»Du lügst!«, schrie er. »Und Lügen kann ich ebenso gut riechen wie Sabotage. Beides stinkt nach faulen Eiern, ganz ähnlich wie eine brennende Lunte. Beides geht über kurz oder lang in die Luft! Zum letzten Mal: Wo ist die gläserne Gondel?«
Die innere Flamme in Milla schoss lodernd empor. Hände und Füße wurden heiß, als stünde sie auf glühenden Kohlen. Sie hatte Angst, Feuer zu spucken, sobald sie den Mund öffnete. Doch selbst wenn das Verschweigen sie entzünden würde – sie würde ihm nichts verraten.
Sie zuckte die Achseln.
Marcos Blicke bekamen etwas Bittendes.
Dann spürte sie plötzlich die Hände des Admirals auf ihren Schultern. Als sei sie ein Baum voll reifer Früchte, begann er sie unsanft zu schütteln. Das Ruder im Säckchen wurde heiß. Wie ein Brandzeichen kam es ihr vor, das sich tief in ihre Haut bohrte.
»Rede!«, rief er. »Du wirst gefälligst reden, Mädchen!«
Eben noch hatte Milla das Ruder als glühenden Pfeil empfunden, doch plötzlich war alles kühl und leer. Dagegen riss der Alte die Hände hoch, als stünden sie in Flammen. Zu ihrem Entsetzen musste sie mit ansehen, wie das Samtsäckchen aus dem Mieder rutschte und zu Boden fiel. Sie wollte sich bücken, doch seine Hände bohrten sich wie Adlerklauen in ihr Fleisch und hinderten sie daran.
»Was ist das, Bellino?«, sagte er. »Was hatte sie da versteckt?«
Marco bückte sich und als er wieder nach oben kam, zog er das Fundstück aus dem Beutel heraus.
»Ein kleines Ruder«, sagte er verblüfft. »Aus durchsichtigem Glas!«
Der Admiral stieß ein Geräusch aus, das einem wütenden Stier alle Ehre gemacht hätte, und ließ Milla los.
Er riss Marco das Ruder aus der Hand.
»Siehst du jenes Glitzern?«, rief er, während er es gegen das Fenster hielt. »So glitzert nur der Sand von Ondana!« Sein Lachen klang grell. »Die Insel ohne Namen? Lass das die Wasserleute ruhig weiterhin glauben! Wir kennen ihn längst, ebenso wie ihr Geheimnis. Nur wer die Gondel hat, kann Ondana betreten. Bald schon werden wir endlich wieder in diesen Genuss kommen!«
Er hinkte zu Milla zurück.
»Wo ist der Rest der Gondel? Und ich rate dir, meine Geduld nicht länger zu strapazieren!«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich weiß es wirklich nicht. Das Ruder ist alles, was ich gefunden habe.«
»Dann wirst du weitersuchen. Bis morgen um diese Zeit gewähre ich dir – als allerletzte Frist.« Er hinkte hinter den Tisch zurück, das Ruder fest umklammert.
»Aber wenn ich sie
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