Feueratem
Bergmädchen.“
Nur wenige Wochen vorher hätte sie dies bis ins Mark getroffen. Aber was sie mit dem Drachen erlebt hatte, lag nun wie ein Panzer um ihr Herz. Die verkrüppelten Vögel, die schemenhaften Gestalten, die kaum etwas Menschliches mehr an sich hatten, standen ihr vor Augen, als sie ihn anschaute und erwiderte: „Ich habe es gesehen, dieses Bessere . Ihr tut mir leid. Ihr und eure Opfer.“
Damit hatte sie sich von ihm abgewandt und ihn hinter sich gelassen.
***
Teres wurde 17. Das letzte Jahr hatte sie viel Zeit damit verbracht, Briefe mit Versöhnungsvorschlägen zwischen den Clans zu entwerfen, die ihre Eltern aber nie unterzeichneten und nicht abschicken wollten. Und obwohl sie sich immer noch auf dem Berg eingesperrt fühlte, gab es etwas, was sie Freiheit kosten ließ: die nächtlichen Flüge, zu denen der Drache sie immer wieder einlud. Sie verbrachte viel Zeit bei ihm: manchmal streitend, häufig schweigend, aber immer ohne den Groll, den sie einst empfunden hatte. Er war nicht mehr das Objekt ihrer Ablehnung, nicht mehr das Tier, das sie einst beschimpft hatte. Teres hatte begonnen, ihn als ihren Freund zu sehen. Und doch war sie seinem Geheimnis nicht auf die Spur gekommen. Bis zu dem Tag, als er verwundet in seine Höhle zurückkehrte – und ihr die Schuppen von den Augen fielen.
Es war keine tödliche Verwundung, aber in all den Jahren hatte Teres den Drachen noch nie verletzt erlebt. Sie hatte nicht geglaubt, dass es überhaupt etwas gab, das ihn verletzen konnte, bis sie ihn mit einer Fleischwunde direkt neben seinem Flügel sah, der nicht wie sonst eingefaltet war, sondern wie ein geknickter Zweig von ihm hing. Ihr blieb das Herz stehen.
„Wer hat das getan?“, brach es aus ihr heraus.
Mit einem Mal stellte sie sich einen der missgestalteten Vögel vor, wie er mit seinem Schnabel auf den Drachen einhackte, stellte sich vor, wie er starb und der grüne Nebel sich auf diesen Berg legte. Wie alle Menschen, die sie liebte, an ihm erstickten.
„Ein anderer Drache“, stöhnte die tiefe Stimme, die immer noch durch ihren ganzen Körper vibrierte, wenn sie neben ihm stand. „Wer sonst?“
Ihre Eltern, die mittlerweile auch in der Höhle eingetroffen waren, benahmen sich besorgt und bekümmert, doch nicht von dem Schrecken erfüllt, der die Ankündigung des baldigen Todes gewesen wäre. Teres wurde etwas ruhiger, obwohl ihre tiefe Verstörung blieb. Als sie noch klein war, hatte sie einmal erlebt, wie Guso einer Eidechse den Schwanz abgehackt hatte, bei dem vergeblichen Versuch, sie zu fangen. Das Tier war einfach weitergehuscht, aus seiner Reichweite, und der Schwanz hatte etwas gelblichen Saft abgesondert, aber mehr war nicht geschehen. Es war ganz und gar nicht wie das rote Blut, das dem Drachen aus seiner Fleischwunde quoll, das Blut, das so aussah wie Teres’ eigenes.
Sie beobachtete, wie ihre Mutter das gleiche Lied summte, mit denen sie Teres’ jüngere Geschwister beruhigte, wenn sie Schmerzen litten, das gleiche Lied, mit dem Teres selbst in den Schlaf gesungen worden war, während dem Drachen auf das aufgerissene Fleisch unter seinen Schuppen Töpfe voller Kräutersalbe aus Goldrutenextrakt gestrichen wurden. Als Teres sah, wie der lange, bebende Körper des Drachen ruhiger wurde, da begriff sie.
„Du bist nicht als Drache geboren“, sagte sie leise. „Du warst einmal ein Mensch.“
Obwohl sie mit gesenkter Stimme gesprochen hatte, hörte sie jeder in der Höhle. Die Zeit schien stillzustehen, als sie alle die Köpfe zu ihr wandten und sie anschauten: ihre Mutter, ihr Vater, ihr älterer Bruder und der Drache.
Ihre Mutter wurde weiß im Gesicht.
„Bitte nicht“, sagte sie beschwörend zum Drachen. „Ich bitte dich, noch nicht jetzt. Gib ihr noch etwas Zeit, um frei zu sein. Gib uns noch etwas Zeit mit ihr.“
Der Drache entgegnete traurig: „Meine Mutter sprach so, als mir die Wahrheit offenbart wurde.“
„Ich weiß es ebenfalls“, meinte Teres’ Bruder kriegerisch, „seit einem Jahr schon. Mir haben es die Eltern bei meiner Hochzeit erzählt. Warum nicht ich?“
„Du hast es nicht selbst herausgefunden“, gab der Drache zurück. „Sie haben dich so bald verheiratet und es dir erzählt, damit du es nicht selbst herausfindest, genau wie deine ältere Schwester. Deine Kinder werden vielleicht einmal in Frage kommen. Aber du und Anis niemals.“
Teres hörte ihn kaum. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf durcheinander wie die Holzklötzchen, mit
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