Feueratem
denen sie als Kind gespielt hatte, fielen zusammen und bauten sich neu wieder auf, zu einem anderen Gebäude.
„Aber – wie?“, fragte sie.
„Das ist der Zauber des Clans Dekapa“, sagte der Drache. „Drachen werden von dem grünen Nebel nicht getötet, aber wenn sie ihm einmal ausgesetzt waren, können sie keine Kinder mehr bekommen. Wundert dich da der Hass, den sie für die Menschen haben? Noch einmal hundert Jahre, und es wird kaum mehr welche von ihnen geben. Aber der Clan Dekapa fand einen Zauber, mit dem man einen Menschen in einen Drachen verwandeln kann. Vor vielen, vielen Jahren, noch vor dem großen Krieg, da war unser Clan derjenige, der kleine Gestaltwandelzauber übte; wir konnten die Gestalt von Hirschen oder Bären oder Wölfen annehmen, ein paar Stunden nur. Einen Drachen zu erschaffen, das war völlig neu, es brauchte alle Magie, die der gesamte Clan hatte, und trotzdem misslang es zuerst, bis die Clanmitglieder begriffen, dass nicht jeder sich eignet. Ein Mensch, der in der Lage ist, zum Drachen zu werden, muss ein Herz voller Fragen haben, das unsere Welt nicht einfach hinnimmt, so, wie sie ist, sondern sie ändern will.“
Teres trat zu den Nüstern, auf die sie ihn einmal geschlagen hatte, und berührte sie, sehr sachte. Ihre Mutter schloss kurz die Augen. Dann presste sie die Lippen aufeinander und begann erneut, Salbe auf die Verwundung des Drachen aufzutragen; dabei liefen ihr Tränen über die Wangen.
„Wie lautet dein Name?“, fragte Teres leise.
„Meinen Namen verlor ich schon vor langer Zeit, ehe ich als Drache wieder erwachte“, sagte der Drache ohne Bitterkeit. „Das wusste ich, ehe ich in das Ei schlüpfte. Es ist eine Wiedergeburt, Teres, und dauert Jahre. Auch ich kann keine Kinder bekommen, genauso wenig wie alle Drachen des Clans Dekapa vor mir. Aber die Verbindung zum Clan besteht, und über ein Mitglied dieser Familie können wir den Zauber legen, der es uns gleich macht. In jeder Generation ein Mal.“
„Er frisst uns auf, dieser Zauber“, brach es aus ihrem Vater hervor. „Der Drache vor dir hat fünf Eier geschaffen, und nur aus deinem kam ein lebender Drache. Du.“ Er stockte und berührte die linke Vorderpranke des Drachen. „Ich kenne deinen Namen“, sagte er traurig. „Deinen menschlichen Namen. Mein Großvater sprach von dir. Du warst sein Bruder. Und ich kann mich an meine beiden ältesten Schwestern erinnern, die du erwählt hast. Und an meinen Vetter, den Bruder meiner Frau. Die Eier, in denen sie ruhen, ich weiß, wo sie verborgen sind. Ich besuche sie, ich lege meine Hand auf sie, wie jetzt auf dich, aber ich höre nichts. Ich spüre nichts.“
„Zauber frisst unsere ganze Welt auf“, sagte Teres langsam, ohne ihren Blick von den Augäpfeln des Drachen abzuwenden, die aus dieser Nähe riesig waren. „Weil ihr sie alle nur hinnehmt.“
„Dann weigerst du dich?“, fragte der Drache, und sie begriff, dass er sie schon lange vorher ausgewählt hatte. Vielleicht, als sie gerufen hatte, sie hasse ihn? Er hatte nicht gelogen, als er ihr erklärte, sie wisse nicht, was Liebe und Hass bedeuteten. Es war Liebe, die ihn an den Clan Dekapa band, dem er entstammte, und es war auch Hass. Sie lebten alle von seinem Opfer. Er musste sie lieben, um für sie leben zu können, aber manchmal, da musste er sie auch hassen, denn sonst wäre er nicht in der Lage, den Zauber, der ihn geschaffen hatte, weiterzugeben.
„Nein“, erwiderte sie, „denn ich verstehe jetzt. Alles.“
Es war der Schatten gewesen, der schon immer auf ihrem Leben geruht hatte; nun, da sie sah, was ihn warf, war sie frei. Sie würde sich nicht weigern. Sie würde ihm und dem Clan ihr menschliches Leben geben, aber sie würde mit sich tragen, was sie gelernt hatte. Als ein Drache würde ihr gelingen, was sie alle für so unmöglich hielten – die Welt zu verändern. Und nach ihr würde es keinen Clanzauber mehr geben.
Zum ersten Mal sah sie sich in den Augen des Drachen widergespiegelt, eine kleine Gestalt, umgeben von schwimmendem Dunkel. Auch er musste sich einmal gewünscht haben, alles zu verändern. War es die Verwandlung in einen Drachen gewesen, die ihm dieses Ziel genommen hatte, oder die lange Zeit seines Lebens?
„Du bist noch so jung“, sagte der Drache.
Noch vor einer Stunde hätte sie das geleugnet. Sie schaute auf ihre Familie – die Eltern, die Geschwister und den Drachen. Ihre Mutter hatte bei den Worten des Drachen hoffnungsvoll mit ihren Arzneien
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