Feueratem
innegehalten, als höre sie ein Zugeständnis, und wahrscheinlich hatte sie recht. Wenn Teres darum bat, noch ein paar Jahre länger ein Mensch sein zu dürfen, würde der Drache einwilligen.
„Ja“, sagte Teres, und der Kloß in ihrer Kehle machte einer Leichtigkeit Platz, die ihr fast den Atem nahm. „Aber die Welt ist nicht mehr jung. Ich möchte, dass meine Nichten und Neffen den Berg verlassen können, wenn sie wollen, ohne zu fürchten, dass jeder neue Freund in Wirklichkeit ein Feind ist. Ich will, dass die Nebel verschwinden und Erised zu heilen beginnt. Nicht irgendwann in der Zukunft, sondern so bald wie möglich.“ Sie sah fest in das große Auge vor ihr. „Vielleicht ist es unmöglich für einen Drachen, aber nicht für zwei. Wenn ich jetzt mit meiner Wandlung beginne, dann wirst du bei ihrer Vollendung noch am Leben sein, nicht wahr?“
Zum ersten Mal war es ihr gelungen, den Drachen zu verblüffen.
„Wir Menschen trauen einander nicht“, sagte Teres, und zum ersten Mal dachte sie an Sani ohne verblasste Trauer oder gar Groll, sondern Verständnis. Wahrscheinlich hatte auch er schreckliche Geschichten über den Krieg gehört und die Art, wie die jeweils anderen Clans das Land verwüsteten. Vielleicht hatte er geglaubt, seine Familie zu retten, wenn er das Geheimnis des Clans Dekapa herausfand. „Und du hast mir selbst erzählt, dass die anderen Drachen in dir ein Ungeheuer sehen.“
„Heute hat einer von ihnen es mir wieder bewiesen“, stieß der Drache hervor.
„Das kann so nicht weitergehen“, sagte Teres und legte ihre Hand auf die Pranke des Drachen, wo sie noch nicht einmal eine Klaue abdecken konnte. „Irgendjemand muss den Anfang machen. Ein Drache kann nur einen Clan schützen, weil er allein ist. Aber zwei Drachen – zwei Drachen könnten …“
„Eine andere Clanfestung erobern?“, fiel ihr Bruder angriffslustig ein.
„Nein“, gab Teres heftig zurück. „Eben nicht. Zwei Drachen könnten versuchen, all die giftigen Nebel, die über den verwüsteten Landstrichen liegen, zu vertreiben, durch das Feuer ihres Atems. Und wer weiß, vielleicht können zwei Drachen auch die wilden Drachen überzeugen, ihnen dabei zu helfen, wenn sie so beweisen, dass sie mehr als nur die fleischgewordenen Waffen eines Clans sind.“
Ihre Familie blickte sie mit teils verwirrten, teils nachdenklichen Mienen an. In den Augen des Drachen las sie allmähliches Begreifen.
„Wir könnten dann aber immer noch nicht dort leben“, gab ihr Vater zu bedenken. „Selbst wenn der giftige Nebel sich gänzlich vertreiben lässt. Die verwüsteten Gebiete liegen zu weit fort, und das Territorium anderer Clans können wir nicht durchqueren, das würden sie nie gestatten.“
„Clan Dekapa soll ja auch gar nicht dort leben“, sagte Teres eindringlich. „Wenn aber Drachen vom Clan Dekapa das Land wieder bewohnbar machen und es einem alten Gegner geben, wie Clan Soschun, dann beweisen wir damit, dass wir keine Feinde mehr sein wollen. Wir machen den ersten Schritt. Irgendeiner muss ihn machen, und immer darauf warten, dass ein anderer es tut, führt am Ende nur zum nächsten Krieg!“
„Aber wenn sie das Land nehmen und uns nur ins Gesicht lachen?“, fragte ihre Mutter leise. „Dann habe ich mein kleines Mädchen für nichts verloren.“
Teres umarmte sie und spürte die Tränen auf der Wange ihrer Mutter. „Ich bleibe Dekapa“, murmelte sie. „Das habt ihr mich doch alle gelehrt. Habe ich das nicht jeden Morgen gesagt? Wir sind Dekapa. Drachen wie Menschen. Und wenn wir nicht wenigstens versuchen, die Dinge zu ändern, für Menschen und Drachen, dann gibt es irgendwann gewiss keinen mehr von uns.“
„Zum Drachen zu werden ist unumkehrbar“, sagte das Geschöpf, das einmal ihr Großonkel war. „Du wirst die Wandlung nie mehr umkehren können, ganz gleich, ob wir die grünen Nebel tatsächlich vertreiben oder nicht. Bist du dir sicher, dass du dein Menschsein wirklich jetzt schon für immer aufgeben willst? Für eine Hoffnung auf Frieden, die sich vielleicht nicht erfüllt?“
Teres schaute ihn an. „Einer muss den ersten Schritt machen“, wiederholte sie sachte. „Du hast wir gesagt. Bedeutet das dein Versprechen, mir zu helfen, wenn ich erst Drache bin?“
Er schwieg, schloss seine ledrigen Lider. Als er sie wieder öffnete, war der Blick in seinen Augen Schwur und Hoffnung zugleich.
Kapitel 6
Die Welt war neu unter ihr, als sie sich in die Lüfte erhob.
Sie wusste, sie hatte einmal
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