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Feueraugen I. Das Dorf

Feueraugen I. Das Dorf

Titel: Feueraugen I. Das Dorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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eine Übersetzung dieses unbekannten Jemand in Wien – das Original dazu fehlt jedoch in Caulks Schrift. Hört Euch das an:
    'Dort, wo dunkle Nacht
    mit fahlem Taglicht streitet,
    dorthin, Brüder, müsst Ihr seh'n!
    Wenn Hufschlag hallt und Xaber Dracer reitet,
    ja, dann, Brüder, müsst Ihr flieh'n!
    Denn wo die Dornenfelder blüh 'n
    und blut'ge Fahnen weh'n
    und wo die Feueraugen glüh'n -
    dorthin, Brüder, wird ER zieh'n!'
    Ist das nicht ein toller Vers?"
    "Allerdings!" Der Signore nickt – noch immer in Gedanken verloren. "Ziemlich verwirrend. Was bedeutet das alles?"
    "Auf den ersten Blick habe ich ihn sogar für einigermaßen verständlich gehalten ..." erklärt Zeramov nun, "... aber die letzte Zeile bringt jeden Deutungsversuch in eine Sackgasse."
    "Entweder unser Jemand in Wien hat Caulks Text –auf den er sich ja bezieht- falsch übersetzt, oder der Denkfehler liegt in dem Vers selbst!" sagt Baldwin. "Ich habe wochenlang versucht, hier einen Sinn zu verfolgen, doch immer wieder bin ich an der letzten Verszeile gescheitert."
    "Soll das heißen, dass wir nicht einen einzigen Teil des Textes im Original haben?" will X wissen.
    "Richtig, mein Lieber. Zwar erwähnt Caulk das Original, das er als schwierig zu interpretieren bezeichnet, aber er führt nur ganz selten Partien daraus an. Ich gehe trotzdem davon aus, dass er nicht wirklich falsch übersetzt hat, denn Jemand aus Wien kommt letztlich zum selben Ergebnis und beruft sich dabei auch noch auf Caulks Schrift."
    "Es sieht dabei so aus, als hat dieser Jemand ein Buch über den Feueraugen-Orden schreiben wollen. Immer wieder erwähnt er seine 'Material-Sammlung'." Ergänzt Zeramov. "Doch weder bei ihm, noch bei Caulk, noch anderswo werden die beiden Schlüsselwörter erklärt: Feueraugen und Rachass."
    "So kommen wir auch nicht weiter!" erkennt der Signore. "Ein Text in Englisch, einer in Deutsch und das Original dazu in einer uns unbekannten Sprache. Porco dio ... wie soll man damit was anfangen?"
    "Parallelen lassen sich durchaus finden." meint Zeramov.
    "Allora, mir ist aufgefallen, dass die Schrift in Dublin immer von 'Revengate', die in Wien aber von 'Rachass' berichtet. Perché ... sind das Synonyme?"
    "Natürlich ...!" Bestätigt Baldwin. "Mein lieber Ricci, beide Namen stehen für dieselbe Sache. Nur kommen wir nicht an das originale Wort heran. Dieses wird in keiner Schrift genannt."
    "Der Gedanke muss nur richtig zu Ende gedacht werden." Damit schaltet sich X ein, der ihnen schon oft schwer verständliche Zusammenhänge enträtselt hat. "Passt mal auf: Rachass ... hört Ihr das? Rachass – ass ! Nein? – Rache ... Hass!"
    "Großartig, X!" Baldwin ist begeistert.
    "Und: Revengate ... Revenge ... Hate!" führt X seinen Gedanken weiter aus. "Also die englischen Synonyme für 'Rache' und 'Hass'!"
    "Verdammt noch mal! Alexej ... warum sind Sie nicht längst darauf gekommen?"
    "Vielleicht haben Sie mir immer dazwischen geredet, Chef!" entschuldigt sich der Drehbuchautor. "Jedenfalls können wir wohl jetzt folgern, dass dieses eigentümliche Wortspiel auch im Original, in dieser uns unbekannten Sprache, vorhanden gewesen sein sollte. Caulk schrieb in Englisch, der Jemand aus Wien in Deutsch."
    "Schön, Kinder." Baldwin steckt sich eben eine neue Zigarette an. "Wir sind ein kleines Stück vorangekommen. Ist noch jemandem was aufgefallen?"
    "Ja!" Dalia meldet sich zu Wort. "Es gibt ein englisches Verb, das 'to caulk' heißt!"
    "Wunderbar! Sehr gut, Miss Lama."
    "Mr. Baldwin ... ich weiß leider nicht, was es bedeutet!"
    "Weniger gut, Miss Lama. Wozu sind Sie Engländerin?"
    "Mein Vater kam aus Tibet, Mr. Baldwin! Ich bin nur halb-Englisch!" korrigierte sie, fügte aber sogleich hinzu: "Im Englischen bezeichnet 'to caulk' irgendeine Tätigkeit beim Segeln ... oder beim Schiffsbau. Genau weiß ich es nicht. Ich bin schließlich keine Matrosin!"
    "Und, wer kennt die deutsche Bedeutung?" Baldwin schüttelt den Kopf. Offenbar bringt Dalias Erkenntnis kein brauchbares Ergebnis. Doch in diesem Moment springt X auf.
    "Aber ja, das ist fantastisch!" ruft er aus. "Das Verb bezeichnet das Abdichten von Fugen im Holz ... beim Schiffsbau, wie Miss Lama ganz recht bemerkt hat. Präzise erklärt würde das zu weit führen ... aber wichtig ist Folgendes: Das deutsche Pendant heißt – jetzt haltet Euch fest: kalfatern!"
    Die nächste Viertelstunde reden alle durcheinander. Diese Namensparallele kommt unerwartet und ist dabei um so bedeutsamer.
    Caulk und Kalfater

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