Feuereifer
dass sie die Geschichte endlich losgeworden war; sie wirkte so lebhaft, wie ich sie seit dem Brand nicht mehr gesehen hatte. Ich dagegen fühlte mich dumpfer, als sei ich wirklich zu blöde, um zu studieren, geschweige denn ein verschwundenes Mädchen aufzuspüren. Auf dem Bildschirm vor mir fesselte Spiderman im Handumdrehen den Bösewicht, der die Bank ausrauben wollte, oder vielleicht war es auch der Bankier, der seine Kunden ausrauben wollte - jedenfalls vergoss Spiderman keinen Tropfen Schweiß dabei. Und er hatte keine halbe Stunde gebraucht, um den Schurken zu identifizieren und aufzuspüren. Ich brauchte dringend eine Portion Superenergie - obwohl ich im Moment schon mit ganz normalen menschlichen Kräften zufrieden gewesen wäre.
Die Kleine erwachte und begann zu quengeln. Rose stand auf und sagte, sie wolle ihr eine Flasche wärmen und würde mir einen Kaffee mitbringen. Ich nahm Maria Ines auf den Arm. »Ist Julia noch hier? Ich müsste sie etwas fragen, wegen der Seifenschale, diesem Frosch, den ich Ihnen am Sonntag nach dem Gottesdienst gezeigt habe.«
Rose verschwand, und ich tätschelte der Kleinen den Rücken und sang ihr italienische Kinderlieder vor, die meine Mutter für mich gesungen hatte - das Lied vom Glühwürmchen, das Lied von der Großmutter mit dem Suppentopf ohne Boden. Wenn ich singe, werde ich ruhiger, fühle mich meiner Mutter näher. Ich frage mich, warum ich es so selten tue.
Gerade als Maria Ines zusehends ungehaltener wurde, kehrte Rose mit einem Fläschchen und einer Tasse bitterem Pulverkaffee zurück, Julia im Schlepptau. Das Mädchen blickte mich argwöhnisch an; ihre Mutter hatte ihr erzählt, worum es ging, und die vertrauensvolle Stimmung vom Training war sichtlich hinüber. Ich reichte die Kleine an Rose weiter und begab mich in eine Position, in der ich Julia halbwegs in die Augen blicken konnte -sie überragte mich um ein ganzes Stück. »Julia, ich bin zu müde, um mir jetzt stundenlang Lügen oder Halbwahrheiten anzuhören. Hast du die Seifenschale Freddy geschenkt, ja oder nein?«
Julia warf einen raschen Blick zu ihrer Mutter hinüber, die sie aufgebracht anblickte. »Du sagst jetzt die Wahrheit, Julia, so wie die Trainerin es will. Deine Schwester ist verschwunden, wir wollen nicht wie der Zahnarzt Stück für Stück aus deinem Mund herausbohren.«
»Ich hab sie ihm geschenkt, okay? Ich hab nicht gelogen.« Ich schlug auf die Couchlehne. »Die ganze Geschichte, und zwar sofort. Es geht um Wichtigeres als deine Gekränktheit. Wann war das?« Julia lief rot an und sah ihrer kleinen Tochter plötzlich sehr ähnlich, aber als sie merkte, dass weder ihre Mutter noch ich Mitgefühl zeigten, sagte sie mürrisch: »Weihnachten letztes Jahr. Und Freddy hat sie angeschaut und gesagt, was soll er denn mit so einem Mädchengeschenk? Und dann hab ich rausgekriegt, dass er sie Diego gegeben hat, und Diego hat sie Sancia gegeben.« »Und dann?« »Was - und dann?«
Ich seufzte laut. »Hat Sancia sie behalten? Hat sie die Schale immer noch?«
Julia zögerte, aber ihre Mutter brach über sie herein, bevor ich loslegen konnte. »In dieser Sekunde sagst du es, Julia Miranda Isabella!«
»Sancia hat sie mir gezeigt!«, schrie Julia. »Sie hat damit angegeben, dass Diego sie so liebt und ihr so ein tolles Ding geschenkt hat, sogar mit einer kleinen Seife drin, die wie eine Blume aussieht, und was hab ich von Freddy gekriegt? Ich war wütend und hab gesagt, komisch, ich hab Freddy genau so ein Ding geschenkt. Diego ist Freddys Cousin, und dann hat Sancia ihn gefragt, hast du Freddys Seifenschale geklaut, und Diego sagt, nein, die hat Freddy ihm gegeben. Da war sie total beleidigt, Sachen aus zweiter Hand, hat sie gesagt und sie mir zurückgegeben! Als sei ich das Letzte, eine, die so was braucht, ein Ding, das ich selbst gekauft hab und das mein Freund nicht haben wollte!«
Tränen liefen ihr über die Wangen, aber Rose und ich blickten sie nach wie vor streng an. »Und wo ist die Schale jetzt?«, fragte ich.
»Ich hab sie weggeworfen. Aber Betto und Sammy wollten sie haben, und ich hab gesagt, gut, sollen sie, sie können damit spielen, ist auch egal, wenn sie kaputtgeht.« »Haben die beiden sie noch?«, fragte ich. Julia zögerte erneut, und ihre Mutter machte ihr wieder Dampf. Freddy war gekommen und hatte gesagt, er hätte es sich anders überlegt, er wolle die Seifenschale jetzt doch behalten.
Diego hatte ihm erzählt, dass Sancia sie ihr zurückgegeben habe, und ob er
Weitere Kostenlose Bücher