Feuereifer
meine Tochter finden? Ich hab nicht da gearbeitet, ich meine, ich habe schon gearbeitet, aber ich war Vorarbeiterin. Sie haben mich bezahlt, damit ich aufpasse, dass die Leute an den Maschinen bleiben, keine langen Pausen machen, nicht stehlen und lauter solche Sachen - die ich hasse!«
Ich mochte zu blöde sein, um Josie aufzuspüren, aber ich war wiederum nicht so dumm, Rose nun zu fragen, weshalb sie diese Arbeit angenommen hatte - eine Frau, die von sechsundzwan zigtausend Dollar im Jahr sechs Menschen ernähren musste. Stattdessen fragte ich, wie lange sie diese Arbeit gemacht hatte.
»Nur zwei Tage. Wir haben zwei Tage vor dem Brand angefangen. An dem Tag, an dem Sie wegen der Sabotage in die Fabrik gekommen sind, hat Mr. Zamar mich zu sich kommen lassen. Er war wütend, weil ich eine Detektivin in die Fabrik geholt hatte. >Aber die Sabotage, Mr. Zamar<, hab ich gesagt, >die Ratten, der Kleber und dann dieser chavo heute Morgen, der wieder was Schlimmes machen wollte<, und er hat gesagt...« Sie unterbrach sich, um Zamar zu imitieren, wie er die Hände vors Gesicht schlug: »Er hat gesagt: >Rose, ich kenne mich da aus, eine Detektivin wird nur dafür sorgen, dass die Fabrik geschlossen wird.< Und dann am nächsten Tag kam er und hat mir diesen zweiten Job angeboten, die Aufsicht, und er hat gesagt, wenn ich ihn nehme, kriege ich fünfhundertfünfzig Dollar die Woche, wenn nicht, muss er mich feuern wegen der Detektivin. Aber ich darf es dem Pastor nicht sagen. Mr. Zamar weiß, dass ich zur Kirche gehe und dass mein Glauben mir wichtig ist, aber er weiß auch, was meine Kinder mir bedeuten, und zwischen diesen Dornen klemmt er mich ein, meine Liebe zu Jesus, meine Familie, was soll ich da tun? Gott helfe mir, ich hab die Arbeit angenommen, und dann werde ich erst recht gestraft, weil zwei Tage danach die Fabrik abbrennt und Mr. Zamar umkommt. Ich kann Gott nur danken, dass es früh passiert ist, als ich und die anderen Arbeiter noch nicht da waren. Ich danke Gott für die Warnung, dass er mich nicht im Feuer hat sterben lassen, dass ich eine Chance habe zu bereuen, aber warum müssen meine Kinder auch leiden?«
Ich starrte Rose entsetzt an, als mir die Bedeutung ihrer Worte dämmerte. »Sie wollen damit sagen, dass der Pastor die Fabrik in Brand gesteckt hat, weil Zamar dort mit Illegalen arbeitete?«
Sie schlug sich eine Hand vor den Mund. »Das hab ich nicht gemeint. Das hab ich nicht gesagt. Aber als der Pastor das mit den Illegalen erfahren hat, war er sehr, sehr wütend.«
Andres hatte Zamar gedroht, wenn er seine Produktion aus Chicago abziehen würde, hätte er bald keine mehr. War Andres von solchem Größenwahn besessen, dass er sich für den Gott der South Side hielt? Mir war schwindlig, und ich schaffte es nicht mal, mich aufrecht hinzusetzen.
Schließlich suchte ich mir eine kleinere Frage, die ich noch bewältigen konnte. »Woher kamen diese Leute, die nachts in der Fabrik gearbeitet haben?« »Von überall, vor allem aus Guatemala und Mexiko. Ich spreche Spanisch, bin in Waco groß geworden, aber meine Familie war aus Mexiko - Mr. Zamar wusste, dass ich mich verständigen kann. Aber das Schlimmste, das Schlimmste ist, dass sie einem jefe Geld schulden, und Zamar, der hat sich die Arbeiter von einem jefe schicken lassen. Nie hätte ich geglaubt, dass ich einmal so was tun müsste, so eine mierda für ihn übersetzen.« Jefes sind eine Art Zwischenhändler, die illegalen Einwanderern horrende Summen dafür abknöpfen, dass sie ihnen dazu verhelfen, in die USA zu kommen. Kein armer Immigrant hat tausend Dollar zur Hand für die Einreise mit gefälschter Green Card und Sozialversicherungsnummer, und die jefes leihen den Leuten das Geld. Wenn die Einwanderer die Grenze passiert haben, werden sie von jefes an Betriebe verkauft, die nach billigen Arbeitskräften suchen. Dann stecken die jefes den größten Teil des Lohns ein, so dass den Arbeitern nur genug für Essen und Unterkunft bleibt. Das Ganze ist eine Art Sklaverei, da es niemandem jemals gelingt, sich aus einem solchen Vertrag freizukaufen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Pastor Andres wütend war über Betriebe, die unter solchen Bedingungen arbeiteten. »Dieser Freddy ist ein jefe, oder?«, fragte ich unvermittelt.
»Freddy Pacheco? Der ist zu faul«, antwortete Rose erbost. »Ein jefe ist ein schlimmer Mensch, aber er arbeitet schwer, anders geht's nicht.«
Danach versanken wir beide in Schweigen. Rose schien erleichtert zu sein,
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