Feuerflügel: Roman (German Edition)
wirklich.“
Zusammen flogen sie weiter auf das schattenhafte Kliff aus Regen zu. Sein tiefes Dröhnen nahm zu, die Luft um sie herum bebte. Ein feiner Nebel perlte in Greifs Fell und ein Wind stieß von unten gegen seine Flügel. Plötzlich befanden sie sich mitten im Regen. Greif jubelte, als er auf sein Fell traf, diese kühle, aber willkommene Erinnerung an die Welt der Lebenden. Mit Luna wedelte er zwischen den Regentropfen hindurch, öffnete den Mund und fing sie mit der Zunge auf, trank mitten in der Luft. Luna lachte – ein Laut, von dem er hier unten nicht annähernd genug gehört hatte –, und für einen Augenblick vergaß Greif beinahe, wo sie waren.
Vor ihnen verdichtete sich der Regen zu einer drohenden grauen Wand. Er fiel nicht mehr in einzelnen Tropfen, sondern in dicken, durchnässenden Spritzern, die Greif nach unten drückten, wenn sie ihn trafen. Um ihn herum kamen die anderen Pilger nur langsam voran, als sie versuchten, einen Weg durch die Sintflut zu finden.
„Das gefällt mir nicht“, rief Yorick durch das Dröhnen des Regens. „Wir sollten es umfliegen oder abwarten, bis es vorbei ist!“
„Das ist noch gar nichts“, meinte Nemo. „Schau nur nach vorn!“
Greif blinzelte, endlich verstand er. Nicht mehr als fünfzig Flügelschläge vor ihnen stürzte ein gewaltiger Wasserfall vom Himmel herab, tausende von Flügelschlägen breit. Das Wasser funkelte und tanzte im Sternenlicht. Greif und die anderen Pilger hielten an und kreisten.
„Wo kommt das alles her?“, fragte sich Java.
„Aus einem Loch!“, rief Greif. „Aus einem Loch im Himmel! Es muss aus der Oberwelt kommen!“
Tief aus den großen Seen, aus der Tiefe der Ozeane musste das Wasser durch die Erde und das Gestein sickern und lecken, immer tiefer, und schließlich durch einen Spalt im steinernen Himmel der Unterwelt stürzen. Schon die Vorstellung weckte in Greif ein heftiges Verlangen. Hochzufliegen, den Spalt zu suchen, irgendwie sich hineinzuzwängen und hoch zu schwimmen. Er würde es natürlich niemals schaffen, ohne Atemluft, nicht gegen das kolossale Gewicht dieses ganzen Wassers.
Er konnte die Fälle riechen. Er hatte sich nie vorgestellt, dass Wasser einen Geruch hätte, aber hier in dieser geruchlosen Umgebung war er überwältigend stark – das Wasser brachte den Duft der Erde mit sich, durch die es gesickert sein musste, der Felsen, über die es geflossen war, den Geruch von Fisch, Salz und Tang; wer wusste schon, wo all dieses Wasser herstammte, aber jeder Tropfen war voll gepackt mit aufregenden Gerüchen. Vielleicht war sogar einiges von diesem Wasser einmal durch den Bach beim Baumhort geflossen.
„Wir müssen drum herum fliegen“, sagte Yorick.
„Und was ist, wenn wir dabei unseren Kurs verlieren?“, meinte Java.
„Ich sage, direkt hindurch!“, schlug Nemo vor. „Ein bisschen Wasser hat noch nie jemandem geschadet.“ „Außer, dass man ertrinken kann“, murmelte Yorick. „Keine Gefahr“, rief Nemo. „Schaut, es gibt große Lücken. Ich führe euch durch, trocken wie im Bauch eines Wals.“
Als Greif den Wasserfall anstarrte und hinhorchte, sah er, dass Nemo Recht hatte: Es war überhaupt keine feste Wand. Er bestand vielmehr aus zahllosen einzelnen Strähnen fallenden Wassers, die wehende Flächen und sich drehende Säulen bildeten. Wenn man genau hinsah, konnte man die Löcher dazwischen sehen.
Der Anblick des Wasserfalls änderte sich auch andauernd. Ganze Teile trockneten plötzlich aus und hinterließen einen senkrechten Kanal freier Luft und nur ein feines Sprühen erinnerte an den donnernden Strom, der dort gerade noch herabgefallen war. An anderer Stelle schlossen sich ohne Vorwarnung weitere Spalten mit einem Donnerschlag. Greif musste heftig schlucken.
„Du bist dir da sicher?“, fragte Java Nemo.
„Bleibt nur dicht hinter mir und wir flitzen direkt durch. Dauert keine Sekunde.“
Yorick bestand darauf, direkt hinter Nemo zu fliegen – als Führer natürlich. Java sorgte dafür, dass Luna und Greif als Nächste kamen, und sie und Smog bildeten den Schluss.
„Vergiss nicht, dass dein Weg breit genug für mich sein muss!“, rief die Flughündin noch Nemo hinterher, und der winkte ihr aufmunternd mit dem Flügel zurück.
„Mir nach!“, rief er.
Greif schwebte auf den Wasserfall zu. Sein Dröhnen war überwältigend. Das salzige Wasser in seinem Magen fühlte sich schwer an. Er wollte diesen Weg überhaupt nicht einschlagen. Jetzt kam er näher, und jede Faser
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