Feuerflügel: Roman (German Edition)
glücklich macht.“
Sie schwieg für einen Augenblick. Dann zuckte sie zusammen und fragte: „Und was, wenn es nicht so ist?“ „Nein, nein, es wird großartig sein.“
„Was ist, wenn es dort schlimmer als jetzt hier ist?“ „Hm, nein. Könnte nicht sein. Nicht möglich.“
„Was ist, wenn ich ganz allein bin und lange warten muss, bis irgendjemand, den ich kenne, auftaucht? Du bist noch jung und meine Eltern könnten auch noch fünfundzwanzig Jahre leben. Ich will nicht ganz allein sein.“
„Du fängst an, wie ich zu klingen“, sagte Greif. „Sich Sorgen machen ist doch mein Ding. Und ehrlich gesagt kann ich das auch besser. Du und deine kleinen Sorgen – da kann ich ja nur lachen!“
Luna kicherte leise.
„Ich weiß, was auf mich wartet“, meinte Nemo und flog längsseits, „wenn es euch nichts ausmacht, dass ich mich in euer Geplapper einmische. Eine große Fluss-Strecke, so breit, wie du ihn nur erhoffen kannst, und genug Fisch, um das Wasser zum Kochen zu bringen.“
Yorick blickte über seinen Flügel zurück. „Du gehst davon aus, mein feuchter Freund, dass wir in dieser nächsten Welt wieder essen werden.“
„Aber sicher, alter Knabe! Was gibt es für ein größeres Vergnügen, als gut zu essen? Und nicht diese nachgemachte Nahrung, die sie hier für uns bereitgestellt haben, sondern richtige Speisen. Forelle, Lachs, Flussbarsch!“
„Interessant“, meinte Yorick mit einem abwertenden Grinsen. „Eine höchstanregende Sicht des Lebens nach dem Tode.“
„Worauf bist du denn aus?“, fragte Nemo. „Erzähl es uns mal.“
„Das ist doch klar, oder?“, sagte Yorick. „Ich will wieder ganz sein. Ich habe Jahrhunderte ausgehalten mit diesem verkrüppelten Flügel und dem Schmerz, den er mir zufügt – ich weiß, ihr macht euch lustig über meine Qual: oh, jetzt fängt Yorick schon wieder mit seinem Flügel an, gähn, gähn! Aber alles, was ich will, ist eine Welt ohne das dauernde Meckern. Ich könnte ohne weiteres die Ewigkeit damit zubringen, Kellerasseln anzustarren, solange ich es nur ohne Schmerzen tun könnte.“
„Na schön, denn“, sagte Nemo ohne Sarkasmus, sondern mit echtem Respekt. „Wir wollen hoffen, dass du in der nächsten Welt wieder zusammengeflickt wirst.“
„Ich will nur ein bisschen Gerechtigkeit“, fuhr Yorick fort. „Dieser Ort ist vollkommen ungerecht. Ich will euch ein Beispiel nennen. In der Oberwelt ist Nemo gefressen worden. Zerkaut. Verdaut sogar. Unangenehm, gebe ich zu. Aber hier unten in der Unterwelt hat er seinen Körper heil zurückbekommen. Er dürfte eigentlich nicht aussehen wie irgendetwas Bestimmtes, sondern nur wie ein Haufen Knochen und Knorpel.“
„Ich muss doch wie irgendetwas aussehen“, protestierte Nemo.
„Gut. Aber ich, ich bin nur gegen einen Baum geschleudert worden, war tot beim Aufprall, und schau mich an! Schau dir diesen Flügel und die Schulter an. Immer noch verkrüppelt, immer noch rasende Schmerzen. Und die arme Luna, ihr geht es noch schlechter. Böse Verbrennungen und immer noch Qualen, jeder kann das sehen! Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Wo ist die Logik?“
Nemo schüttelte den Kopf. „Da hast du vollkommen Recht, alter Junge. Alles, was ich dazu sagen kann, ist: Gott sei Dank habe ich das glücklichere Ende erwischt. Und Gott sei Dank werden wir alle bald diesen elenden Ort hinter uns haben.“ Nach einer Weile wandte er sich an Smog. „Ich muss dich auch noch fragen. Wie sieht deine neue Welt aus? Ich bin sicher, du hoffst darauf, dass massenhaft saftige kleine Fledermäuse auf dich warten.“
„Vielleicht gibt es verschiedene Orte für verschiedene Fledermäuse“, entgegnete Smog mit der Andeutung eines Lächelns. Jedenfalls nahm Greif an, dass es ein Lächeln war. Er hatte sich immer noch nicht an das dunkle Blitzen dieser Zähne gewöhnt.
„Wäre ein bisschen viel verlangt, wenn wir uns sogar in diesem neuen Leben noch Sorgen machen müssten, gefressen zu werden“, murmelte Yorick.
„Und du?“, fragte Luna Java. „Gibt es Fruchtbäume in deinem Leben nach dem Tode?“
„Vielleicht. Aber ich hatte eigentlich auf etwas vollkommen Neues gehofft.“
„Tatsächlich?“, fragte Greif neugierig.
„Nun, wäre es sonst nicht eine Spur monoton? Die gleichen Sachen alle noch einmal zu bekommen?“
„Nein! Ich will das Gleiche“, sagte Luna entschieden. „Ich will, dass alles ganz genauso ist, wie es beim Baumhort war. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“
„Du bist jung
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