Feuerflügel: Roman (German Edition)
und hättest mehr haben sollen, gewiss doch“, sagte Java mit solcher Heiterkeit, dass Greif spürte, wie seine Stimmung stieg. Aber Luna, sah er, äußerte sich nicht dazu, sondern starrte nur nach vorn. Sie zitterte.
„Wie geht es dir?“, fragte er und rückte näher an sie heran.
„Bloß all das Gerede darüber, dass es anders sein könnte“, flüsterte sie, während die Übrigen sich weiter unterhielten. „Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas anders haben möchte. In erster Linie habe ich mich noch nicht einmal daran gewöhnt, tot zu sein. Du weißt nicht, wie es ist, Greif.“
„Ich weiß.“
„Ich will das nicht.“
„Du bist immer mit allen Dingen fertig geworden“, sagte Greif. „Bist du immer. Mit Eulen und starken Winden und Blitzen. Immer wenn ich Angst hatte, hattest du keine. Es gibt nichts, wovor du Angst hast.“
„Nur vor diesem hier“, erwiderte sie.
Es gefiel ihm nicht, dass sie Angst hatte. Er baute darauf, dass sie frei von Angst war, um ihm dabei zu helfen, seine eigene ständige Angst zu zerstreuen. Er konnte fast spüren, wie ihre Ängstlichkeit in seine schon angeschlagenen Muskeln sickerte, und er bemerkte einen Stich Widerwillen. Wie sollte er alles allein beisammen halten?
„Was in Nocturnas Namen ist denn das?“, fragte Yorick und blinzelte in die Ferne.
Greif richtete sich auf Javas Rücken auf. Direkt vor ihnen erkannte er ein schattenhaftes, graues Kliff, das sich so hoch auftürmte, dass es sich in der Schwärze des Himmels verlor und die Sterne verdeckte. Unten wirkte es alles andere als massiv. Es konnte dort nicht aus Fels bestehen, weil es immer wieder verschwamm, sich auflöste und sich dann wieder dunkler verdichtete.
Er schnüffelte. Der gleiche Geruch, den er vorher schon bemerkt hatte, nur stärker jetzt. Und nun fiel ihm auch die Veränderung in der Luft auf. Wenn er blinzelte, fühlte es sich nicht mehr so an, als stecke Sand hinter den Augenlidern. Sogar im ausgedörrten Mund und dem wunden Hals spürte er Erleichterung.
„Es ist Regen“, stellte Nemo erstaunt fest. „Hört nur!“
Greif spitzte die Ohren und hörte ein entferntes Prasseln von Tröpfchen und dahinter ein tiefes Grollen, das etwas Größeres und Mächtigeres ankündigte.
„Ein kleiner Wolkenbruch, wie es sich anhört“, bemerkte Nemo fröhlich.
„Das war nicht auf der Karte“, sagte Yorick verärgert. „Davon hat man uns nichts gesagt.“
„Ist vor nicht langer Zeit hier drüber weggezogen“, sagte Nemo. „Da unten, schaut, ist der Boden noch nass.“
Wasser. Ohne zu überlegen, sprang Greif von Javas Rücken, wurde beinahe von ihrem linken Flügel getroffen und ließ sich in ruckartigen Spiralen zur Erde fallen. Nemo hatte Recht. Der Boden, normalerweise trocken und geborsten, war zu Matsch aufgeweicht und glänzte an manchen Stellen, wo das Regenwasser Pfützen bildete.
„Greif!“, rief Luna ihm nach. „Warte!“
Er konnte nicht warten. Er wollte Wasser im Mund, in der Kehle. Er strich niedrig über den Boden, beobachtete das Wasser, das laut in das ausgetrocknete Erdreich gesogen wurde. Vor seinen Augen verwandelten sich Pfützen in Matsch, Matsch verwandelte sich wieder in trockenen Dreck.
Greif glitt weiter. Er war sich nur halb bewusst, dass Luna jetzt neben ihm herflog und die anderen Pilger sie von oben abschirmten. Greif entdeckte noch einen Tümpel, segelte weiter auf ihn zu, taumelte kopfüber zu einer unbeholfenen Landung. Diesmal war er schnell genug, um das Gesicht ins Wasser zu stoßen und einzuatmen.
Es war wirklich! Er spürte, wie seine Zunge weich wurde, während ihm noch mehr eiskaltes Wasser spuckend und keuchend die Kehle hinunterrann, ohne dass er es schmeckte, es war so kalt. Als der Tümpel von der Erde und von ihm leer getrunken war, hob Greif schließlich den Kopf. Er schnappte nach Luft. Er bewegte die Zunge im Mund herum und endlich schmeckte er das Wasser.
Nicht wie der Bach zu Hause. Dieses Wasser hatte einen starken Salzgeschmack, und es war ihm ein wenig übel; trotzdem dürstete ihn nach mehr, nur wegen der brennenden Kälte der Flüssigkeit. Als er sich wieder in die Luft erhob, schwappte ihm das Wasser schwer im Magen hin und her. Vielleicht sollte er jetzt doch nicht noch mehr trinken.
„War es gut?“, fragte ihn Luna.
Er nickte. Wahrscheinlich hätte er nicht so viel zu sich nehmen sollen. Aber salziges Wasser war besser als nichts, oder?
„Tut mir Leid“, sagte er zu den anderen, „aber ich brauchte das
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