Feuerflut
um ihren Körper, als sie wieder in den Nebel hinaustrat. Sie stellte sich vor, daß der Laden jetzt wieder verschwinden würde, so wie alle legendären Läden verschwanden, die Zaubermittel und unsichtbarmachende Umhänge verkauften. Aber sie blickte nicht zurück, weil schon nach wenigen Schritten alles vom Nebel verschluckt wurde. In einem kleinen Umkreis der matten Straßenlampen wurden Nebelfetzen von der Hitze nach oben gerissen.
Die Mitternachtsfähre tuckerte über das Wasser und glitt auf ihrem Luftkissen über die Kämme der kabbeligen Wellen hinweg. In ihr Cape gewickelt war Laenea anonym. Nach zwei, drei Stopps auf den Inseln war sie der einzige Passagier an Deck. Da die Imbißbuden geschlossen waren, blieben die Fahrer der wenigen Lastwagen auf dem unteren Deck in ihren Kabinen, schliefen oder tranken Kaffee aus ihren Thermosflaschen. Laenea legte die Füße auf die andere Bank und streckte sich. Draußen, vor dem Fenster der Fähre, war alles dunkel, nur die Lichter des Luftkissenfahrzeugs huschten über die Wellenkämme. Laenea konnte hinter der Scheibe das Wasser sehen, und ihr eigenes Spiegelbild darin. Nach einer Weile schlief sie ein.
Der Raumflughafen war ein riesiges, künstliches Eiland, das weit vor der Küste im Meer verankert war. Es wurde von Flutlichtern strahlend hell erleuchtet. Die parabolischen Sonnenspiegel sahen aus wie die riesigen Facettenaugen eines gigantischen Wasserinsekts. Mit Ausnahme der Sonnenspiegel und der Startrampen war die Oberfläche der Insel flach und eben. Die wenigen Bauten erhoben sich kaum höher als zwei Stockwerke über den Boden. Höhere Gebäude hätten den häufigen Nordweststürmen zu viel Widerstandsfläche geboten und wie Segel gewirkt.
Unter der Plattform, von einem vibrationsdämpfenden Deck isoliert, lag die City. Das Dröhnen startender Shuttles und das kreischende Heulen ihrer Landeanflüge würden jeden Menschen, der an der Oberfläche der Insel blieb, zum Wahnsinn treiben. Aus diesem Grund befand sich auch dieser nordwestliche Raumflughafen so weit auf See, weit entfernt von den dichtbesiedelten Küsten, doch auch eine Stadt, autark und geschützt innerhalb der Stabilisationsschäfte der Insel.
Die Fähre kletterte über eine flach ansteigende Rampe vom Wasser auf die Stahlinsel und ging auf der Ladeplattform nieder. Das Surren elektrischer Lastwagen löste das Dröhnen der riesigen Ventilatoren ab. Laenea stieg steifbeinig die Treppe hinab. Sie war zu groß, um bequem auf den zweisitzigen Bänken schlafen zu können. Bei der Gangway blieb sie einen Moment lang stehen, sah zu den hinausrollenden Lastwagen hinüber, konzentrierte sich und erhöhte ihren Blutdruck. Sie wußte, wie gefährlich es sein konnte, wie leicht sich die Sucht entwickelte, den Druck ständig zu verstärken, bis der Organismus wie eine überlastete Maschine ausgebrannt war. Aber jetzt war es nötig; sie fühlte, wie ihre Energie zurückkehrte und die Verkrampfung ihrer Beine und des Rückens allmählich nachließ.
Mit Ausnahme des Surrens der Lastwagen, die rasch die Rampe hinabrollten und verschwanden, war um diese späte Nachtstunde kein Geräusch zu hören. Das Passagier-Shuttle stand wartend auf seiner Zentralschiene. Als Laenea hineintrat, spürte der Computer ihre Anwesenheit, schloß die Türen, schaltete die Lichter ein und setzte das Shuttle in Bewegung. Durch einen Knopfdruck brachte Laenea es über Stabilisator Nummer 3 zum Halten. Hier befanden sich die Quarantänestation, die Verwaltung und die Crew-Quartiere. Laenea lebte auf in der wohligen Wärme, ihre Sicht war klar und scharf. Sie warf das Cape über die Schultern zurück, da sie seinen Schutz nicht mehr benötigte. Sie lebte auf in der Erwartung, ihre Freunde wiederzusehen.
Der Lift brachte sie durch die Zentralachse des Stabilisators in die Unterwasser-City. Laenea fuhr bis zum untersten Deck des Schafts, einem von dreien, die tief ins Wasser hinabreichten, bis unterhalb der Turbulenzzone, um die Insel auch bei stärkstem Wetter stabil zu halten. Die Schäfte dienten auch dazu, sie im Gleichgewicht zu halten, indem Wasser in Ballasttanks gepumpt oder mit Preßluft ausgeblasen wurde, wenn ein Shuttle startete oder landete oder eine Fähre an Bord kroch.
Die Lifttür glitt auf, und Laenea trat in ein Foyer, von dem aus eine Wendeltreppe zum tiefsten Punkt des Stabilisators hinabführte, einem kugelförmigen Appendix am Fuß des Schafts. Das Foyer war ein zylindrischer Raum mit durchsichtigen
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