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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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das wird sehr leer aussehen.“
    „Wir haben uns an dieses Schiff gewöhnt“, sagte die Alte. „Zurück wird es ebenso leicht gehen.“ Sie drehte sich um, breitete die Flügel aus, lief ein paar Schritte und erhob sich in die Luft. Sie kam etwas unbeholfen hoch, aber ihr Flug war schon graziöser.
    In Spiralen glitt sie aufwärts, der Schwerkraft entgegen. Höher und mit immer weniger Anstrengung fliegen zu können war ungewohnt und erregend gewesen; jetzt wünschte sie sich nur noch eine Möglichkeit, ihre Kraft bis zum Zerreißen zu erproben. Mit der Zeit hatte sich ihre Fähigkeit, Entfernungen abzuschätzen, verschlechtert, aber die Abmessungen der Kammer erfaßte sie mit ihrem Bewegungsempfinden und aus dem Gedächtnis: lang genug, daß man gleiten, aber nicht dahinjagen konnte, breit genug, daß man mit langsamen Schlägen von einer Seite zur anderen gelangen, nicht aber in hohen Geschwindigkeiten seine Muskeln fordern konnte, und tief genug, daß man hinabstoßen, nicht aber im Sturzflug abwärts schießen konnte.
    Sie glitt am oberen Ende der Kammer durch den schmalen Zwischenraum zwischen Decke und Laufsteg; hinter sich hörte sie das Jungwesen innehalten und dann ebenfalls hindurchstoßen. Die Alte hatte gelacht, als man die Überquerung baute, aber es gab einige, die die Kammer nur über die Brücke durchqueren konnten, und das fand sie nicht mehr erheiternd.
    Geräusche leiteten sie. Manchmal wollte sie sich die Ohren verstopfen und fliegen, ohne sich von den Echos, die die Grenzen markierten, führen zu lassen. Sie hatte daran gedacht, auf diese Weise zu sterben, mit halbverkrüppelten Sinnen dahinzujagen, bis sie an dem dichten Sternenteppich zerschmetterte und das Schiff mit ihrem Blut segnete. Aber sie wollte noch einmal die Erde berühren, und so lebte sie weiter.
    Sie wurde müde; ihre Knochen würden schmerzen, wenn sie erst ruhte. Sie legte die Flügel an und sank zu Boden, dann streckte sie sich, um gegen die wachsende Schwerkraft anzukämpfen. Sie landete und ließ die Schwingen herabhängen. Das Jungwesen setzte ebenfalls auf und kam heran. „Ich bin müde.“
    Dankbar empfand sie dieses Zugeständnis an ihre Würde. „Ich auch.“
     
    Die Tage vergingen; das Jungwesen blieb bei ihr. Sie flogen zusammen, und sie segelten mit den schon lange nicht mehr benutzten Ionenbooten durch die Wirbel ineinanderfließender stellarer Winde. Zuerst war das Jungwesen ängstlich, aber dann faßte es Vertrauen, als die Alte ihm die Handhabung der Segel zeigte. Die Alte erinnerte sich an andere, halbvergessene Reisen mit anderen, längst verstorbenen Jungwesen. Das wachsende Vergnügen ihres Begleiters ließ sie kurze Freude darüber empfinden, daß ihr Traum von einem angemessenen Tod, in Schleier gehüllt dahinjagend, sie daran gehindert hatte, eines der Boote zu nehmen und davonzusegeln, bis ihr die Luft ausging oder irgendein Unfall zustieß.
    Als man Einzelheiten der neuen Welt unterscheiden konnte, machte sich die Alte auf den langen Weg in den Navigationsraum. Mit ihren Augen konnte sie die Sterne nicht mehr fühlen, und deshalb navigierte sie nicht, aber obgleich die jungen Leute das Schiff ebenso gut führen konnten wie es ihre eigene Generation gekonnt hatte, empfand sie Unbehagen bei dem Gedanken, ihr Schicksal den Händen anderer zu überlassen. Am Eingang stieß sie sich sanft ab und schwebte in die Mitte der Kammer. Ein paar junge Erwachsene trieben im Innern der transparenten Halbkugel umher, redeten, dösten und beobachteten das Verhältnis zwischen Schiff, Planet, Hauptplanet und Sternen. Der Navigationsraum rotierte nicht; Richtungen waren eine Sache der Konvention. Mit Wolkenstreifen und glitzernden Ozeanen bedeckt hing der Halbmond der neuen Welt über ihnen; unter ihnen drehte sich der Schiffskörper, eine reflektierende Fläche mit dunklen Luken und dem transparenten Segment der Flugkammer.
    „Hallo, Großmutter.“
    „Hallo, Enkelkind.“ Sie sollte ihn „Enkelsohn“ nennen, dachte sie, aber sie war an das andere gewöhnt, obgleich dieses Kind ihres ersten Kindes, das schon einen Jüngeren Gefährten hatte, längst erwachsen war. Wieder fühlte sie, daß sie eine geziemende Art zu sterben wählen sollte.
    In der Nähe diskutierten zwei Leute über ein paar Zwölftel einer Bogensekunde und änderten die Spannung des Hauptsegels. Wie eine konkave Wasserfläche kräuselte sich das Segel und begann, sich in Falten zu legen.
    „Es scheint, daß die Maschinen unnötig sein werden.“

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