Feuerflut
unser ganzes Volk wird auf den unteren Decks leben und stark werden und jeden Tag fliegen.“
„Ich fliege. Fast jeden Tag.“
Die Alte lächelte, halb zynisch, halb mitleidig. „Ich würde Euch wohl zeigen, was es heißt, zu fliegen“, sagte sie. „Über Wüsten, die so heiß sind, daß die Hitze nach Euch greift, und über Berge, die so hoch sind, daß sie die Wolken überragen, und hoch in die Luft, bis die Strahlung in Euren Augen explodiert und Euch die Orientierung nimmt und auf die Erde schmettert, wenn Ihr nicht stark genug seid, sie zu überwinden.“
„Das würde mir gefallen.“
„Es ist zu spät.“ Die Alte wischte sich das gerinnende Blut von Händen und Lippen. „Es ist viel zu spät.“ Sie wandte sich zum Gehen; hinter ihr sprach das Jungwesen, so leise, daß sie es fast nicht hörte. „Es ist meine Wahl. Mußt du mich zurückweisen?“
Sie ließ die Tür zwischen ihm und sich ins Schloß fallen.
Im Gang traf sie andere ihres Volkes, Jungwesen und Erwachsene, die das Leben auf den inneren Decks des Schiffes, wo die Gravitation gering war, spindeldürr hatte werden lassen. Viele begrüßten sie mit augenscheinlicher Ehrerbietung, doch sie glaubte Verachtung aus ihren Grüßen herauszuhören. Sie ignorierte sie. Das war ihr Recht; sie war die Älteste von allen, die einzige, die sich noch an ihre Heimat erinnern konnte.
Ihr Mahl hatte sie noch nicht neubelebt; sie meinte tatsächlich zu empfinden, wie der gekrümmte Boden vor ihr anstieg. Die Verachtung, die sie bei den andern zu spüren glaubte, begann in ihr selbst zu wachsen. Den rechten Zeitpunkt zu sterben hatte sie längst hinter sich gelassen.
Die einzelnen Decks des Schiffes waren durch Leitern miteinander verbunden; die Schächte, durch die sie führten, waren nicht zum Fliegen gemacht. Mühsam ließ sich die Alte zum Rande der Wohneinheit hinunter. Trotz der Schmerzen fühlte sie sich besser, wenn die Zentrifugalkraft ihr Gewicht vergrößerte.
Es war eine aufregende Reise gewesen, bevor sie angefangen hatte, alt zu werden. Sie hatte nichts dagegen gehabt, die Jagdgründe gegen die Kabinen auf einem Segelschiff einzutauschen: das Universum wartete. Jung und voller Eifer betrat sie das Schiff; eben erst hatte sie sich mit einem Älteren Gefährten verbunden, eben erst war sie vom Jungwesen zur Erwachsenen geworden; geliebt und selber liebend teilte sie die Träume ihres Volkes, als es seine kleine, langweilige Welt verließ.
Das Abteil der Alten lag auf dem niedrigsten Deck, wo die Gravitation am stärksten war. Langsam und unter Schmerzen setzte sie sich mit gekreuzten Beinen neben das Fenster; sie streckte ihr steifen Flügelfinger und entfaltete ihre Schwingen, um ihren Körper mit den weichen Membranen zu umhüllen. Draußen rasten die Sterne vorüber, aber für die nachlassenden Augen der Alten waren sie nur ein farbenprächtiger, verschwommener Wirbel, wie Glimmerflocken im Sand.
Die Wohneinheit drehte sich um ihre Achse, und die Segel kamen in Sicht. Die riesigen, reflektierenden Flächen blähten sich unter dem Druck der stellaren Winde, sie ließen das Schiff langsamer werden und hielten es gegen die Schwerkraft, während es sich der ersten neuen Welt näherte, die das Volk der Alten sehen würde.
Sie träumte von ihrer Jugend und davon, so hoch zu fliegen, daß man die Krümmung des Planeten sah, durch die Höhenwinde zu kreuzen und dabei zu riskieren, daß eine unberechenbare Strömung sie erfaßte und ihr die hohlen Knochen brach. Andere Jungwesen stürzten bei diesen Spielen ab; sie starben, aber kaum jemand trauerte: Es war der Lauf der Dinge.
Sie träumte von ihrem toten Älteren Gefährten, und sie streckte die Hand nach ihm aus, aber seine Gestalt war stofflos und glitt durch ihre Finger.
Krallen trommelten sanft über ihre Tür, und das Geräusch weckte sie auf. Ihre Träume lösten sich auf.
„Herein.“
Die Tür öffnete sich; aus dem Halbdunkel ihres Raumes sah sie einen Schatten im Licht des Eingangs stehen. Langsam nur stellten sich die Augen der Alten darauf ein, und dann erkannte sie das gescheckte Jungwesen. Sie fühlte, daß sie es fortschicken sollte, aber noch immer schwebte die Vision ihres Älteren Gefährten vor ihren Augen, und die Worte wollten ihr nicht über die Lippen.
„Was wollt Ihr?“
„Mit dir sprechen. Dir zuhören.“
„Wenn das alles ist.“
„Natürlich ist es das nicht. Aber wenn es alles ist, was du gestattest, so will ich mich damit zufriedengeben.“
Die Alte
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