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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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aber sie verlor nicht den Halt. Sie stand auf dem zerbrochenen Gipfel der Düne, und zu beiden Seiten, dort, wo er stehengeblieben war, erstreckte sich der Kamm wie ein Segel. So hoch über der Wüstenebene ging ein stärkerer Wind. Sie schaute hinunter, breitete lachend ihre Schwingen aus und sprang.
    Die dünne Luft ließ sie fallen; sie kämpfte; ihre Füße schleiften über den Sand, aber ihre Schwingen arbeiteten hart, und sie hielten sie; sie erhob sich in den Himmel, nicht so steil wie ehedem, aber doch aufwärts. Sie fand einen Aufwind und folgte ihm; sie kreiste in weiten Spiralbögen, in sausendem Flug vorbei an den schattigen Sandhügeln. Ihr Flug war nicht so sicher wie die Flüge ihrer Erinnerung; sie fühlte sich berauscht, nicht nur von der Luft. Sie versuchte sich an einem flachen Sturzflug und hätte beinahe die Kontrolle verloren, doch sie fing sich und zog wieder hinauf in den Himmel. Noch war sie nicht bereit, ihr Leben aufzugeben. Sie fühlte sich nicht mehr alt, sondern alterslos.
    Etwas dort unten bewegte sich und erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie neigte sich seitwärts und glitt über die winzige Gestalt hinweg. Sie flüchtete, als ihr Schatten sie berührte, aber sie schien kaum schnell genug zu sein, als daß eine Jagd sehr vergnüglich gewesen wäre. Mit einiger Vorsicht stieß sie hinab, strich über den Boden, packte das Tier mit den Fingern ihrer Hand und stieg wieder in die Höhe. Das schuppige Tier strampelte mit den Beinen und stieß gutturale Schreie aus. Die Alte betrachtete es. Sein Geruch war scharf, aber nicht unangenehm, eines der geheimnisvollen Aromen in dieser Luft. Sie war nicht hungrig, aber sie dachte daran, das Geschöpf zu töten und zu verspeisen. Es roch, als wäre es aus den vertrauten Bestandteilen des Lebens zusammengesetzt, jedoch nach einem völlig fremdartigen Muster. Sie war neugierig zu erfahren, ob ihr Organismus es vertragen würden, und sie fragte sich, welche Farbe sein Blut wohl haben mochte, aber Tradition und Instinkt ihres Volkes geboten, daß man niedere Tiere nur tötete, um sich zu ernähren. Sie ließ das kalte Wesen frei, wo sie es gefunden hatte, und jagte davon.
    Die Alte stieg hoch hinauf in die Luft zu einem letzten Flug. Sie empfand tiefes Bedauern, daß die Jungen hier nicht hatten bleiben wollen.
    Zuerst hielt sie das leise, klagende Heulen für eine Sinnestäuschung, doch es wurde lauter und schriller, bis sie das Pfeifen eines Antriebs erkannte. Jetzt kam das Boot in Sicht; es flog sehr schnell, zu schnell – aber dann verlangsamte es mit mühsamer Anstrengung seine Geschwindigkeit, schwenkte ein und war in Sicherheit. In einem weiten Bogen näherte es sich dem Boot der Alten. Sie folgte ihm.
    Aus der Luft sah sie, wie das Jungwesen in den Sand hinauskletterte. Sie landete neben ihm.
    „Warum seid Ihr gekommen? Ich gehe nicht mehr zurück.“
    Das Jungwesen hielt ihre Fußreifen und die farbigen Totenschleier hoch. „Laß mich bei deinem Tod zugegen sein. Laß mich wenigstens das tun.“
    „Das ist sehr viel.“
    „Wirst du er erlauben?“
    „Ihr habt Euch großer Gefahr ausgesetzt. Könnt Ihr zurückfinden?“
    „Wenn ich will.“
    „Ihr müßt. Hier gibt es nichts für Euch.“
    „Das laßt mich selbst entscheiden!“ Der Zornesausbruch des Jungwesens geriet ins Stocken. „Warum … warum tust du so, als läge dir soviel an mir?“
    „Ich …“ Sie wußte keine Antwort. Ihre Anteilnahme war echt, aber sie erkannte, daß ihre Taten und ihre Worte in einem Widerspruch gestanden hatten. Sie hatte sich verändert, vielleicht ebenso sehr wie die Jungen, sie hatte die alte Todesverachtung für sich selbst behalten und für die anderen die neue Art, nämlich das Leben zu erhalten, gelten lassen. „Mir liegt etwas daran“, sagte sie. „Mir liegt etwas an dir.“
    Und dem Jungwesen stockte der Atem, als sie die Erwachsenenform der Anrede benutzte. „Ich habe so lange gehofft, daß du das sagen würdest“, sagte es. „So lange schon habe ich mir deine Liebe gewünscht …“
    „Du wirst sie nur kurze Zeit besitzen.“
    „Das ist genug.“
    Sie umarmten sich. Die Alte umhüllte das Jungwesen mit ihren Flügeln, und sie sanken in den warmen Sand. Zum ersten Mal berührten sie einander in Liebe und Leidenschaft. Als die Sonne den scharfen Rand der Berge erreichte und die Wüste rot aufglühen ließ, streichelte die Alte das Jungwesen, sie liebkoste sein Gesicht und hielt es fest, während es sich zu wandeln begann. Die

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