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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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nicht mehr ‚Ihr’.“
    Der Wächter schien nicht zu hören. „So habt Ihr gesehen, wie alles stirbt?“
    Der andere stützte ihn, und er roch frisches Blut. „Nein. Du hattest recht. Es gibt noch andere. Um sie herum lebt die Erde.“ Er hielt den warmen Körper eines kleinen Tieres an die Lippen des Wächters. „Trink das“, sagte er. „Beim letzten Mal war ich selbstsüchtig.“
    Heiß rann das Blut durch die Kehle des Wächters; die Jagd hatte er beinahe vergessen. „Warum seid Ihr hier?“
    „Aus demselben Grund, aus dem ich fortgegangen bin.“
    „Wie lange ist das her?“
    „Ein Jahr.“
    „Ah.“ Dunkle Lider schlössen sich müde über noch dunkleren Augen. „Es erschien mir länger.“
    „Mir erschien es sehr kurz.“
    Lange Zeit lag der Wächter reglos da, ohne zu sprechen. „Ich sterbe. Willst du meine Schleier tragen?“
    Er sah, daß der Alte, halb träumend, glaubte, er könnte noch fliegen. „Das will ich. Die Sterne werden dich berühren.“ Sanft ließ er ihn zurücksinken. „Ich werde dir einen Gleiter bauen, Wächter“, flüsterte er. Er legte sich neben ihn, um zu warten, und breitete seinen Flügel über ihm aus. Er hoffte, der Wächter würde es noch fühlen und wissen, daß jemand da war, der ihn liebte.

 
Berge der Dämmerung
     
    Der Geruch vom Tierdeck des Schiffes, der von Anfang an quälend gewesen war, wurde allmählich unerträglich stark. Vor Jahren hatten die Ausdünstungen von so vielen dicht zusammengesperrten Tieren der Alten Übelkeit verursacht, doch jetzt verstärkten sie nur ihren schleichenden Hunger. Als sie noch Jungwesen war, hatte ihr Hunger danach verlangt, gestillt zu werden, aber nun alterten selbst ihre inneren Reaktionen. Der Hunger war nur noch ein Schmerz.
    Im Innern des Tierdecks erstreckten sich drei Abteilungen von Käfigen über die Krümmung des Bodens, und darin schliefen fette, lethargische Tiere, ohne Angst zu haben. Sie hob ein Junges am Nacken hoch. Blinzelnd hing es in ihrer Hand; nicht einmal, als sie ihre silbernen Klauen in sein Fleisch bohrte, reagierte es mit Angst. Seine Vorfahren waren quiekend über das Wüstenland geflohen, wenn auch nur der Schatten der Alten über ihnen erschien, aber Angst und Geschwindigkeit und die chemischen Reaktionen des Schreckens hatte man diesen Tieren weggezüchtet. Ihr Fleisch schmeckte nach nichts.
    „Guten Tag.“
    Erschreckt fuhr die Alte herum. Die Angewohnheit des Jungwesens, geräuschlos von hinten heranzukommen, ärgerte sie; sie hatte dann immer das Gefühl, daß ihr Gehör sich ebenso rapide verschlechterte wie ihr Sehvermögen. Dennoch empfand sie eine gewisse Zuneigung zu diesem Kind, das nicht ganz so schwach war wie die anderen. Das Jungwesen war schön: breite Schwingen und zierliche Ohren, große Augen und ein dreieckiges Gesicht, und sein Körper war mit einem Pelz bedeckt, der so kurz war wie ein Pelz nur sein konnte, mit einem braunen Muster in dem gewöhnlichen, glänzenden Schwarz. Das war eine Abnormalität, die in den Kindern der ersten Schiffsgeneration auftrat. Auf der Heimatwelt hätte man ein Kind mit derartigen Veränderungen ausgesetzt, aber auf dem Segler wurde Kindestötung selten praktiziert. Dies war etwas, was die Alte mißbilligte; sie befürchtete die Degeneration ihres Volkes, aber sie hatte sich an die Streifen und Wirbel im Muster der Pelze gewöhnt.
    „Ich grüße Euch“, sagte sie, „aber ich bin hungrig. Geht fort, bevor Euch übel wird.“
    Die Alte zuckte die Achseln, beugte sich hinunter und zerriß die Kehle des Tieres mit ihren scharfen Zähnen. Warmes Blut strömte über ihre Lippen. Während sie es hinunterschluckte, wünschte sie sich, sie würde fliegen und dabei Stücke von warmem Fleisch aus den Händen eines Gefährten oder Liebhabers essen und ihn zugleich ebenfalls füttern. So hatte sie, als sie noch ein Jungwesen und noch nicht „sie“ war, ihren Älteren Gefährten umworben; so hatte ihr Jüngerer Gefährte sie nie umwerben können. Zwei Generationen ihrer Art hatten diese Erfahrung missen müssen, aber sie schien diesen Verlust mehr zu bedauern als diese. Sie zerriß das Tier und nahm es aus, dann zermalmte sie seine Knochen, um an Hirn und Mark zu gelangen.
    Sie sah auf. Das Jungwesen beobachtete sie, fasziniert und abgestoßen zugleich. Sie bot ihm einen Fetzen Fleisch an.
    „Nein. Danke.“
    „Dann eßt Euer Fleisch kalt, wie die andern.“
    „Ich werde es versuchen. Irgendwann.“
    „Ja, natürlich“, sagte die Alte. „Und

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