Feuerflut
schälte sich aus ihren Flügeln und richtete sich langsam auf. „Ich habe meinen Jüngeren Gefährten überlebt“, sagte sie. „Wollt Ihr, daß ich noch einmal den Abscheu unseres Volkes errege?“
„Es kümmert sie nicht. Es ist nicht mehr so. Wir haben uns geändert.“
„Ich weiß … meine Kinder haben unsere Sitten vergessen, und ich habe nicht das Recht, Kritik daran zu üben. Warum sollten sie auf ihre verkrüppelte Mutter hören, die nicht sterben will?“
Das Jungwesen hockte sich vor ihr nieder und schwieg einen Moment lang. „Ich wünschte …“
Sie streckte die Hand aus und spreizte die scharfen Krallen. „Unser Volk hätte niemals unsere Heimat verlassen sollen. Dann wäre ich lange tot, und Ihr wäret mir nie begegnet.“
Das Jungwesen nahm ihre Hand und hielt sie fest umklammert. „Wenn du tot wärest …“
Sie wich zurück und öffnete ihre langen Finger, so daß ihr Flügel sich über ihren Körper breitete. „Ich werde sterben“, sagte sie. „Bald. Aber ich will noch einmal fliegen. Eine neue Welt will ich sehen, und dann habe ich genug gesehen.“
„Ich wünschte, du würdest nicht vom Sterben reden.“
„Warum nicht? Warum haben wir solche Angst vor dem Tod bekommen?“
Das Jungwesen erhob sich achselzuckend und ließ die Spitzen seiner gestreiften Schwingen über den Boden schleifen. Die verkümmerten Krallen klickten auf dem Metall. „Vielleicht sind wir nicht mehr daran gewöhnt.“
Die Alte empfand die unbeabsichtigte Tiefe dieser Bemerkung; sie lächelte und begann zu lachen. Das Jungwesen sah sie an, als wäre sie wahnsinnig. Aber sie konnte ihm nicht erklären, was daran so komisch war, daß sie die Gefahren der stellaren Winde gesucht und dabei nur hasenherzige Sicherheit gefunden hatten.
„Was ist? Geht es dir gut? Was hast du?“
„Nichts“, sagte sie. „Ihr würdet es nicht verstehen.“ Ihr war nicht mehr zum Lachen zumute, sie war erschöpft und fühlte sich elend. „Ich werde jetzt schlafen“, sagte sie, als sie ihre würdevolle Fassung wiedererlangt hatte. Sie wandte den Blick von dem wunderschönen Jungwesen ab.
Als sie erwachte, fühlte sie sich warm, als hätte sie auf der Spitze einer Felsenzinne in der Sonne geschlafen, die ganze Welt um sich herum ausgebreitet. Aber ihre Wange ruhte auf kühlem Metall; sie öffnete die Augen und wußte wieder, wo sie war.
Das Jungwesen lag neben ihr und schlief; es hatte eine Schwinge über sie beide gebreitet. Sie wollte etwas sagen, doch dann schwieg sie. Sie fühlte, daß sie zornig sein sollte, aber seine Nähe war zu angenehm. Ein Schuldgefühl stieg in ihr auf, weil sie diesem Kind sein Verlangen nach der Liebe einer, die bald sterben würde, gestattete, aber noch immer bewegte die Alte sich nicht. Sie blieb unter der zärtlichen Berührung des Flügels liegen und versuchte, ihre Träume wieder heraufzubeschwören. Aber das Jungwesen rührte sich, und unversehens blickte die Alte in ein Paar dunkler, goldgesprenkelter, erschrockener Augen.
Das Jungwesen wich zurück. „Entschuldige. Ich wollte dich nur wärmen, nicht …“
„Ich … fand es angenehm, nach so langer Zeit auf diesem kalten Metall. Ich danke Euch.“
Das Jungwesen starrte sie an, und langsam begriff es, was sie gesagt hatte; dann legte es sich hin und hüllte sie sanft wieder ein.
„Ihr seid ein Narr. Ihr sucht den Schmerz.“
Das Jungwesen schmiegte sich an sie und legte seinen Kopf auf ihre Schulter.
„Ich werde Euch nur ‚Ihr* nennen“, sagte sie.
„Gut.“
Die Flugkammer umfaßte die Hälfte der Decks eines Segments, das zwei Zwölftel des Durchmessers der Wohneinheit ausmachte. Boden und Seitenwände waren durchsichtig, und man konnte das All sehen.
Die Alte und das Jungwesen standen auf einem glitzernden Sternenpfad. Seitlich von ihnen kräuselten sich die Segel, als sie ihre Stellung veränderten, um das Schiff auf Kurs zu halten. Sie verdeckten einen Lichtpunkt, der nur um ein Geringes heller war als die Sterne, die seinen Hintergrund bildeten: die Sonne des Heimatplaneten, den dieses Schiff mit tausend anderen verlassen hatte. Auf der anderen Seite loderte strahlend ein zweiter Stern, und selbst die Alte konnte die wechselnden Phasen der ihn umkreisenden Kugeln erkennen.
Das Jungwesen starrte hinaus auf den beleuchteten Rand ihres Reiseziels. „Wirst du dort glücklich sein?“
„Ich werde glücklich sein, den Himmel und das Land wiederzusehen.“
„Ein blauer Himmel, ohne Sterne … Ich glaube,
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