Feuerflut
daß das Institut ihren Weg schon bis hierher verfolgt haben konnte. Am Terminal würde sie noch ein paar Leute anbetteln können, und vielleicht würde sie genug zusammenbekommen, um sich ein Ticket zu kaufen und von diesem Berg und von dieser Welt entkommen zu können. Wenn sie sich gut genug verstecken und weit genug kommen könnte, würde das Institut niemals sicher sein, daß sie tot war.
Auf halbem Weg zwischen der Allee und dem Terminal mußte sie anhalten und sich ausruhen. Das Cafe, das sie betrat, war physisch warm und geistig kalt, zweckmäßig und mechanisch. Seine emotionale Sterilität war ihr vertraut. Sie selbst kannte sie erst seit kurzem, aber sie sah keine Möglichkeit, ihre eigene innere Leere durch etwas von größerer Bedeutung zu ersetzen. Sie hatte sich in den letzten paar Monaten sehr verändert, aber es blieb ihr nur noch wenig Zeit für Veränderungen.
Der schwache Duft von einem halben Dutzend verschiedener Arten von Rauch zog sich durch den Geruch von abgepacktem Automatenessen. Lais ließ sich in eine leere Nische gleiten. Auf der anderen Seite des Raumes saßen drei Leute zusammen. Sie genossen es offensichtlich, beieinander zu sein. Einen Augenblick lang dachte sie daran, zu ihrem Tisch hinüberzugehen und sich sanft in die Gruppe hineinzudrängen, sich zunächst angenehm, aber dann immer irrationaler zu verhalten.
Ihre eigenen Phantasien widerten sie an. Ganz kurz dachte sie, es könnte ihr vielleicht gelingen, sich selbst für wahnsinnig zu halten. Selbst die bloße Möglichkeit wäre ein Trost. Wenn sie glauben konnte, was man sie gelehrt hatte, daß nämlich die Institutsgenies zur Instabilität neigten, dann konnte sie auch alle anderen Lügen glauben. Wenn sie die Lügen glauben konnte, dann konnte das Institut eine philantropische Organisation bleiben. Wenn sie an das Institut glauben konnte, wenn sie also verrückt war, dann würde sie nicht sterben.
Sie fragte sich, was sie wohl tun würden, wenn sie hinüberginge und ihnen sagte, wer und was sie war. Lais hatte keinerlei Erfahrungen mit normalen Menschen ihres Alters. Vielleicht würde es sie gar nicht stören, vielleicht würden sie grinsen und sagen: „Na und?“ und zusammenrücken, um ihr Platz zu machen. Vielleicht würden sie sich auch zurückziehen, auf sehr subtile Weise natürlich, und sie abweisen, wenn ihre Leute ihnen beigebracht hatten, daß die Monstren womöglich wieder einen Aufstand machen könnten. Das war gewöhnlich die Reaktion. Noch schlimmer, sie würden sie vielleicht einen Moment lang anstarren, dann einander ansehen und stumm beschließen, ihr zu vergeben und sie zu tolerieren. Das war eine Reaktion, die sie bei den Normalen, die im Institut arbeiteten, gesehen hatte; bei denen, die jedes erreichbare Gefühl der Überlegenheit nötig hatten, und wenn es noch so wacklig war; bei denen, die sich zu Richtern von Taten aufschwangen, die schon vor einem halben Jahrhundert gesühnt worden waren.
Ein beleuchteter Menü-Automat an der Wand bot nahrhafte Gerichte an, aber trotz ihres Hungers verursachte ihr das Durcheinander von Gerüchen nach Fleisch und süßem Sirup Übelkeit. Der Menü-Automat gab auf einen Gulden heraus und bot dafür Besteck und eine zugedeckte Schale mit Suppe. Sie sträubte sich gegen die Notwendigkeit selbst einer so geringen Ausgabe, denn sie hatte fast genug, um einen weiteren, schwer zu verfolgenden Schritt auf eine andere Welt zu tun. Was sie besaß und was sie brauchte: Es waren so lächerliche Summen, ein Taschengeld in anderen Zeiten.
Einen Moment lang wünschte sie sich, sie wäre wieder im Institut, zusammen mit den anderen Monstren, wo sie von freundlichen menschlichen Wesen versorgt würde. Aber nur einen Moment lang. Sie würde dann nicht im Institut sein, sondern versteckt im Quarantänekrankenhaus; diese freundlichen menschlichen Wesen würden so tun, als ob sie sie gesund machten, während sie in Wirklichkeit die letzten Früchte ihres Geistes aus ihr heraussaugten, alle Informationen, die ihr Körper ihnen geben konnte. In Wirklichkeit würden sie sich nur dafür interessieren, welcher Verfahrensirrtum zu einem solchen Fehler in ihren wohlüberwachten künstlichen Gebärmuttern geführt hatte. Die Zöglinge sollten nicht anfangen zu sterben, bevor sie dreißig waren, wenngleich diese Tatsache bestritten wurde. Kein einziges warnendes Anzeichen hatte das Institut dafür erhalten, daß Lais fünfzehn Jahre zu früh sterben würde; nichts als die Erklärung
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