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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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können, wie es sein würde, in ständiger Angst zu leben.
    „Ich muß …“ Selbst das Sprechen tat weh, und sie erschrak, als sie hörte, wie schwach ihre Stimme klang. Flüsternd sprach sie weiter: „… mich ein wenig ausruhen.“ Sie kam sich dumm vor, wie sie dort am Boden lag, beobachtet von den Maschinen, aber die Erniedrigung hier war geringer als die in den wenigen, endlosen Tagen im Krankenhaus, wo man in ihr herumstochern, Biopsien machen und Proben entnehmen würde, als wäre sie ein Testobjekt in einer widerspenstigen Gewebekultur. Inzwischen wußte sie, daß die ganze Behandlung ein Mummenschanz war; was zählte, waren allein die Tests. Sie stemmte sich auf den Ellbogen hoch, und der alte Mann half ihr, sich aufzusetzen.
    „Ich habe … ich meine … mein Zimmer … Ich soll nicht …“ Sein zerfurchtes Gesicht war puterrot. Es zeigte seine Gefühle viel bereitwilliger als die toten Gesichter der künstlich erhaltenen Leute, vielleicht weil er alterte und sie nicht, vielleicht auch, weil sie zu tieferen Gefühlen nicht mehr fähig waren.
    „Danke“, sagte sie.
    Er mußte sie stützen. Sein Zimmer lag im selben Gebäude, in einem Netz von schmutzigen Korridoren. Es war aus weißem Plastik und peinlich sauber, beinahe kahl. Der bläulich schimmernde Würfel eines 3D bewegte sich murmelnd in der Ecke.
    Der alte Mann führte sie zu einem schadhaften Sandbett und blieb unsicher neben ihr stehen. „Gibt es etwas … brauchen Sie …?“ Eingerostete Worte, vor langer Zeit mechanisch auswendig gelernt, nie wieder gebraucht. Lais schüttelte den Kopf. Sie zog ihren Mantel aus, und er kam ihr hastig zu Hilfe. Sie legte sich hin. Das Bett war hart: Eigentlich sollte Luft zwischen den Sandkörnern hindurchströmen und einem so die Illusion vermitteln, daß man schwebte, aber die Düsen waren nicht in Funktion und die winzigen Partikel hatten sich am Boden abgelagert und waren nur noch direkt unter dem Bezug beweglich und glatt. Aber es war immer noch weicher als die Straße. Das Licht war hell, aber nicht unerträglich. Sie legte einen Arm über die Augen.
     
    Etwas weckte sie auf. Angespannt und verwirrt lag sie da. Der Raum war wie in spätes Zwielicht getaucht. Wieder hörte sie ihren Namen, und sie drehte sich um. Über ihre Schulter hinweg sah sie den alten Mann zusammengesunken auf einem Hocker vor dem 3D sitzen. Er spähte in den bläulichen Würfel hinein und starrte auf ein stummes Miniaturabbild von Lais. Sie brauchte nicht hinzuhören, um zu wissen, was die Stimme sagte: daß ihre Spur nach Highport führte. Sie teilten den Einwohnern mit, daß sie hier war und daß sie wahnsinnig war, ein armes, beklagenswertes, unstabiles Genie, paranoid und verängstigt, erbarmungswürdig und hilfsbedürftig. Aber nicht gefährlich. Ganz gewiß nicht gefährlich. Mit beschwichtigenden Worten versicherten sie den Leuten, daß man jede Aggression aus den Chromosomen der Monstren eliminiert habe (das war eine Lüge; es war unmöglich, aber das machte wohl keinen Unterschied). Die Stimme sagte, es gäbe nur wenige Zöglinge, die sich aber allesamt auf Forschungstätigkeiten beschränkten. Lais hörte nicht mehr zu. Sie ließ frühe Erinnerungen in sich aufsteigen und gab sich ihnen hin. Der alte Mann kauerte vor seinem 3D und starrte auf das Bild. Sie stieß die verdrehte Decke weg. Der alte Mann rührte sich nicht. Lais rutschte zum Fußende und streckte die Hand aus, so daß ihre Finger beinahe seinen Kragen streiften. Darunter lagen die starken, dünnen Glieder seiner Kennmarkenkette. Sie konnte jetzt hinlangen, ihm damit die Kehle zuschnüren und ihn und die Bedrohung, die er darstellte, aus dem Weg räumen. Niemand würde merken, daß er verschwunden war. Niemanden würde es interessieren. Ein primitiver Anthropoid, der hier irgendwo auf halbem Wege zwischen Zivilisation und Barbarei schwebte, hetzte sie nun weiter.
    Wenn er sie bemerkte, würde er sich aufrichten. Seine Kehle würde bloßliegen. Lais spürte schon die Sehnen unter ihren Händen. Sie blickte hinunter auf diese Hände, ausgestreckt wie Klauen, angespannt, zitternd, fremdartig. Sie zog sie zurück, immer noch darauf starrend. Sie zögerte und ließ sich dann auf das Bett zurücksinken. Ihre Hände lagen passiv neben ihr, sie gehörten wieder zu ihr, blaß und blaugeädert, mit gesplitterten, schmutzigen Fingernägeln.
    Der alte Mann drehte sich nicht um.
    Sie zeigten jetzt Bilder von ihr, wie sie aussehen mochte, wenn sie versuchte, sich zu

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