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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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alter Bekannter. Wäre das Foto nicht so grobkörnig und unscharf gewesen, hätte er ihn auch ohne Gesichtserkennungssoftware identifizieren können.
    Er flüsterte den Namen seines Gegners: »Painter Crowe.« Der Leiter von Sigma. Verärgert und belustigt zugleich, schüttelte er den Kopf und blickte auf das Foto. »Weshalb hast du deinen Bau in D. C. verlassen?«
    Rafe hatte nicht damit gerechnet, dass Sigma so schnell auf die Vorkommnisse reagieren würde. Er hatte seinen Gegner unterschätzt, und diesen Fehler durfte er nicht noch einmal machen. Allerdings war es nicht allein seine Schuld. Es hatte lange gedauert, die Puzzleteile miteinander zu verbinden. Ihre Zielperson – die schlanke Diebin mit den langen Fingern – war entfernt mit Crowe verwandt und gehörte demselben Stamm an wie er. Offenbar hatte sie sich auf die Familienbande berufen, damit er ihr half.
    Das war eine interessante Entwicklung. Unterbrochen von einem kurzen Nickerchen, hatte er die ganze Nacht damit zugebracht, diese neue Variable in seine Gleichungen einzubeziehen und verschiedene Varianten durchzuspielen. Wie sollte er die Sache angehen? Wie konnte er sich diese Verwandtschaft zunutze machen?
    Erst gegen Morgen war er auf die Lösung gekommen.
    Schritte näherten sich über den Flur und bogen in den Anrichteraum des Butlers ein. »Sir. Wir sind startklar.«
    »Merci, Bernd.« Rafe tippte auf seine Armbanduhr von Patek Philippe. Die Uhr war mit einem Tourbillon ausgestattet, einer Vorrichtung zum Ausgleich des Einflusses der Schwerkraft auf die Ganggenauigkeit. Die Übersetzung lautete »Wirbelwind«. Das sollte ihnen Mahnung und Ansporn sein. »Die Zeit wird knapp.«
    »Ja, Sir. Wir werden die Verspätung aufholen, wenn wir erst mal in der Luft sind.«
    »Gut, gut.«
    Rafe nahm einen letzten Schluck Espresso. Er spitzte die Lippen. Der Kaffee war nur noch lauwarm, was ihm eine scharfe Bitterkeit verlieh. Das war schade, denn die teuren Kaffeebohnen aus Panama, die sie hier gefunden hatten, waren eine echte Überraschung gewesen. So monströs das Haus auch war, mit Kaffee kannte sich der Besitzer aus, das musste man ihm lassen.
    Gut gelaunt stand er auf.
    »Ist Ashanda noch bei dem Jungen?«, fragte er Bernd.
    »Sie sind in der Bibliothek.«
    Die Antwort entlockte ihm ein Lächeln. Da sie keine Zunge mehr hatte, las sie dem Jungen bestimmt keine Geschichte vor.
    »Was soll ich mit dem Jungen machen, wenn Sie weg sind?« Bernd spannte sich an, offenbar ahnte er, wie die Antwort ausfallen würde.
    Rafe winkte ab. »Lassen Sie ihn hier. Tun Sie ihm nichts.«
    Bernd hob andeutungsweise die Brauen. Für einen so stoischen Mann wie ihn kam das einem Ausruf des Erstaunens recht nahe.
    Rafe wandte sich ab. Bisweilen war es ratsam, sich unvorhersehbar zu verhalten und die Untergebenen in die Schranken zu verweisen. Auf seinen Stock gestützt, humpelte er zur Bibliothek. Sie nahm zwei Etagen ein und war vollgestopft mit ledergebundenen Büchern, die wie alles andere in dem Haus offenbar vor allem repräsentativen Zwecken dienten.
    Ashanda saß in einem bequemen Schaukelstuhl. Das Kind schlief in ihren Armen, und sie streichelte ihm mit ihren langen, unglaublich kräftigen Fingern zärtlich das blonde Lockenhaar. Tief aus ihrer Kehle kam ein Summen. Für Rafe klang es so beruhigend wie die Stimme seiner Mutter. Er lächelte und tauchte für einen Moment in die Vergangenheit ab, als er in unbeschwerten Sommernächten unter dem Sternenhimmel auf dem Balkon geschlafen hatte, gewärmt von Decken und an Ashanda gekuschelt. Damals hatte sie immer so gesummt, wenn sie ihn nach einem Knochenbruch tröstend in den Armen hielt. Ihr Summen war Balsam für die meisten Schmerzen, auch den Kummer eines Kindes.
    Er störte sie nur ungern, doch es musste sein. »Ashanda, ma grande, wir müssen aufbrechen.«
    Sie neigte bestätigend den Kopf und erhob sich geschmeidig. Anschließend legte sie den Jungen behutsam aufs warme Polster, machte es ihm bequem. Erst jetzt bemerkte er den Bluterguss am Hals des Jungen und die unnatürliche Neigung seines Kopfes. Also hatte er doch nicht geschlafen.
    Ashanda kam Rafe entgegen und bot ihm den Arm. Er hakte sich bei ihr ein und drückte ihr mitfühlend den Unterarm. Sie hatte getan, was nötig war, hatte seine Anweisung vorweggenommen. Indem sie dem Jungen einen schnellen, schmerzlosen Tod bereitete, hatte sie nicht nur ihm einen Gefallen getan, sondern auch dem Kind. Er brachte es nicht über sich, ihr zu sagen, dass sie

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